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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht
Autoren: Italo Calvino
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Koffer, den er gerade gekauft hatte. War genauso ein Koffer wie Ihrer.«
    »Was ist daran so sonderbar? Sie verkaufen doch Koffer.«
    »Von diesen hat hier noch keiner einen gekauft, seit ich sie führe. Sie gefallen den Leuten nicht. Oder man braucht sie nicht. Oder man kennt sie nicht. Dabei sind sie doch bestimmt praktisch.«
    »Nicht für mich. Wenn ich zum Beispiel jetzt daran denke, wie schön dieser Abend für mich sein könnte, dann fällt mir gleich ein, daß ich diesen Koffer mit mir herumschleppen muß, und schon kann ich an nichts anderes mehr denken.«
    »Warum stellen Sie ihn nicht irgendwo unter?«
    »Vielleicht in einem Koffergeschäft?« sage ich.
    »Warum nicht? Einer mehr, einer weniger. ..«
    Sie steht auf, zupft sich vor dem Spiegel den Mantelkragen zurecht, den Gürtel.
    »Wenn ich später vorbeikomme und an den Rolladen klopfe, würden Sie mich dann hören?«
    »Probieren Sie's doch.«
    Sie grüßt niemanden. Sie ist bereits draußen auf dem Platz.
    Doktor Marne verläßt den Flipper und kommt an den Tresen. Er will mir ins Gesicht sehen, vielleicht eine Anzüglichkeit von seilen der anderen aufschnappen oder auch nur ein Grinsen. Aber die anderen reden von Wetten, Wetten über ihn, ohne sich darum zu kümmern, ob er zuhört. Ein munteres Treiben voller Vertraulichkeiten und Schulterklopfen umgibt den Doktor, es geht um alte Scherze und Spötteleien, doch im Zentrum dieser Ausgelassenheit liegt eine Respektzone, deren Grenze nie übertreten wird, nicht nur weil Marne ein Arzt ist, Amtsarzt oder dergleichen, sondern auch weil er ein Freund ist, oder vielleicht weil er unglücklich ist und im Unglück ein Freund zu bleiben vermag.
    »Kommissar Gorin kommt heut später, als alle vorausgesagt haben«, ruft einer, denn eben betritt der Kommissar das Lokal.
    Er kommt herein. »N'Abend allerseits.« Er tritt direkt auf mich zu, senkt die Augen auf meinen Koffer, auf die Zeitung in meiner Rocktasche, raunt durch die Zähne: »Zenon von Elea. «, und geht zum Zigarettenautomaten.
    Hat man mich an die Polizei verraten? Arbeitet ein Polizist für die Organisation? Ich gehe zum Automaten hinüber, als wollte ich auch Zigaretten holen.
    Er sagt: »Sie haben Jan umgelegt. Hau ab!«
    »Und der Koffer?«
    »Bring ihn zurück. Den können wir jetzt nicht mehr brauchen. Nimm den Schnellzug um elf.«
    »Aber der hält doch hier gar nicht. «
    »Er wird halten. Geh rüber auf Bahnsteig sechs, auf die Höhe des Güterbahnhofs. Du hast nur noch drei Minuten.«
    »Aber. «
    »Verschwinde! Sonst muß ich dich festnehmen!«
    Die Organisation ist mächtig. Sie kann der Polizei und der Bahn Befehle erteilen. Ich schiebe den Koffer über die Bretter zwischen den Gleisen hinüber auf Bahnsteig sechs. Ich laufe den Bahnsteig entlang. Dort hinten liegt der Güterbahnhof mit seinem Schrankenübergang im nebligen Dunkel. Der Kommissar steht in der Tür des Bahnhofscafes und behält mich im Auge. Der Schnellzug donnert in vollem Tempo heran. Er bremst, hält, löscht mich aus dem Gesichtsfeld des Kommissars und fährt wieder ab.

II
    Dreißig Seiten hast du inzwischen gelesen, und die Geschichte beginnt dich gerade zu fesseln. Da stellst du auf einmal fest: »Dieser Satz kommt mir doch bekannt vor. Ja, mir scheint, diese ganze Passage habe ich schon gelesen!« Klar, es sind wiederkehrende Leitmotive, der Text ist durchsetzt mit solchen Wiederaufnahmen und Wiederholungen, die das Fließen der Zeit ausdrücken sollen. Du bist ein sensibler Leser, für Feinheiten dieser Art empfänglich, du hast ein Gespür für die Intentionen des Autors, dir entgeht nichts. Freilich empfindest du auch eine leichte Enttäuschung: Gerade jetzt, wo du dich ernsthaft zu interessieren beginnst, fühlt sich der Autor verpflichtet, mit einem von diesen modernen literarischen Kunstgriffen anzugeben und einen ganzen Absatz wörtlich zu wiederholen. Einen Absatz? Nein, das ist ja sogar eine ganze Seite, vergleich doch mal, kein Komma hat sich geändert! Und was kommt dann? Nichts, die Erzählung wiederholt sich haargenau wie auf den Seiten zuvor!
    Moment mal, sieh auf die Seitenzahl. Na sowas! Von Seite 32, bist du auf Seite 17 zurückgefallen! Was du für eine stilistische Manieriertheit des Autors gehalten hast, ist nichts als ein technischer Herstellungsfehler, dieselben Seiten sind zweimal im Buch. Der Fehler ist in der Binderei passiert: Bücher bestehen bekanntlich aus »Bogen«, jeder Bogen ist ein großes Blatt, das mit sechzehn Seiten bedruckt
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