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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Autoren: Tom Holt
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Es gab Billionen winzig kleiner Bildausschnitte, die jeder für sich ein Teilstück eines Gesamtbilds darstellen sollten, das nach Guys Vermutung die Welt war. Und jedes einzelne Aufnahmeteam hatte den-selben vermeintlich künstlerisch anspruchsvollen Stil angewandt, bei dem die Kamera die Handlung durch die Augen des Helden hindurch verfolgt. Um alles noch verwirrender zu gestalten (obwohl Guy etliche Leute kannte, die das ›ganz toll‹ gefunden hätten; allerdings trugen diese Leute auch zerschlissene Wolljacken und rauchten Pfeife), lief der Film rückwärts.
    Guy sah sich nach Giovanni um, aber der war nicht mehr da. In der Dunkelheit machte er eine kleine Gestalt ausfindig, die im verschwommenen und kahlen Vordergrund vorbeimarschierte. Die Ge-424
    stalt trug eine Fackel in der Hand und hatte eine Art Tablett vor dem Bauch hängen. Mit widerwilliger Bewunderung erkannte Guy, daß sie Popcorn verkaufte.
    Die Filmhandlung ging in atemberaubendem Tempo weiter; und obwohl die Stimmen derart schwach waren, daß er sie praktisch nicht hören konnte, hatte er das Gefühl, dem Inhalt auch so gut folgen zu können. Da war der sechste Weltkrieg; dann die Gründung der Vereinigten Staaten von Ozeanien und der Eurasischen Volksrepublik; die Fußballweltmeisterschaft 2120; die Macclesfield Raketen-Krise; die Wiedereinsetzung der Jakobiner; der Fünfte, Vierte und Dritte Weltkrieg; die Berliner Mauer; der Zweite Weltkrieg …
    »Ey, das bin ja ich!« rief Guy erstaunt. Dann verwandelte sich der Bildausschnitt, den er gerade betrachtet hatte, in eine dunkle Fläche, und er hatte keine Lust mehr zum Hinsehen.
    Der Film jedoch lief weiter und wurde immer schneller, da eine der beiden Spulen größer als die andere wurde, so daß die Entdeckung von Amerika und die Zurückeroberung von Spanien ineinander überzugehen schienen und aus Apachen im Nu Mauren wurden. Die Mauren verwandelten sich unter den Mauern Konstantinopels in Türken, dann fielen Mongolen über die Steppen Rußlands her, und danach belagerten die Sarazenen Antiochia.
    Plötzlich blieb der Film stecken, als hätte sich in der Zuführung des Zeitprojektors ein dickes Haar 425
    verfangen; und wie es anscheinend in solch einem Fall immer passiert, riß der Film, und kleine Rauch-schwaden stiegen auf …
    »Zufrieden?«
    »Schon gut«, grummelte eine Stimme aus dem Innern der Gummiburg heraus, »es gibt keinen Grund, solch ein Theater darum zu machen.«
    »Dann komm raus.«
    Die Gummiburg erbebte beunruhigend. Eins der kleinen Kinder, das noch wenige Minuten zuvor auf ihr herumgetollt war, ließ die Eistüte fallen und begann zu schreien.
    »Können wir uns nicht wie vernünftige Erwachse-ne darüber unterhalten?«
    »Nein.«
    »Wie war’s mit einem Schiedsgerichtsverfahren?«
    »Nein.«
    »Sollen wir eine Münze werfen?«
    »Nein.«
    Die Burg wand sich leicht, wie eine schlechtge-launte Python. »Bis einer dreimal gewonnen hat, ja?«
    fuhr die Stimme hoffnungsvoll fort. »Du kannst sogar eine von deinen Münzen nehmen.«
    »Nein.«
    »Hör mal, das hat wirklich nichts mit dir persönlich zu tun, es ist nur …«
    König Richard hob erneut das Schwert und zeigte mit der anderen Hand vor sich auf den Gummiboden.
    Er lächelte, aber dieses Lächeln hatte mit Fröhlich-426
    keit und Gutmütigkeit ungefähr soviel zu tun wie ei-ne Schreckschußpistole mit einer Haubitze.
    »Das … das würdest du nicht …«, stammelte die Burg und schlackerte dabei wie ein mit Zinnen versehener Wackelpeter.
    »Du wirst schon sehen.«
    »Aber die Archive zu öffnen … du hast ja keine Ahnung … Tausende von Jahren … die passen einfach nicht rein …«
    König Richard riß das Schwert beidhändig hoch und ließ es über dem Kopf kreisen. Dann brachte er es in einer Kreisbewegung nach unten, wobei ein Teil aus dem Himmel herausgeschnitten worden sein mußte. Sekundenbruchteile bevor das Schwert den Boden durchstoßen hätte, bremste er den Schlag ab und geriet dabei selbst arg ins Wanken. Die Burg entspannte sich ein wenig.
    »Sehr komisch«, stöhnte sie, und ihre Stimme verriet, daß sie kurz vor einem hysterischen Anfall stand. »Ich wußte doch, daß du es niemals … Nein!«
    Das Schwert schwang sich erneut in die Lüfte.
    » Also gut!«
    Und wo vorher eine Gummiburg gestanden hatte, befand sich nun ein riesiger Torbogen, und dahinter wanden sich kilometerweit Zinnenkränze und bis in die Wolken ragende Wachttürme und Brustwehren und Burggräben und Burghöfe und …
    Und das
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