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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Autoren: Tom Holt
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Schatten, der kurzfristig die Sonne verdeckt hatte, verschwand in der Ferne, wurde zu einem kleinen grellen Fleck auf der Sonnenoberflä-
    che und explodierte wie ein Feuerwerk. Etwa fünfzehn Sekunden später war von weitem ein leises Floppen zu hören.
    »Schade«, sagte Giovanni. »Wir haben in dem Jahr höllische Geschäfte gemacht, ich meine während der Französischen Revolution.«
    »Aha«, stellte Guy fest. Er horchte, und ihm fiel auf, daß ein gewisses Geräusch nicht mehr da war.
    Es war eine ganze Weile zu hören gewesen und immer lauter geworden, was ihm arge Kopfschmerzen bereitet hatte.
    Falls es nach Guys Erfahrung überhaupt etwas gab, das dem Geräusch auch nur im weitesten Sinne ähnelte, dann hatte es sich wie eine riesengroße Filmrolle angehört, die rückwärts durch den Projektor gezogen worden war.
    Er hob den Kopf und blickte sich nach allen Seiten um. Die Erdoberfläche hatte sich merkwürdig verändert.
    Das alles mußte sehr schnell vor sich gegangen sein.
    Eben hatten da noch König Richard und Blondel gestanden, und im Hintergrund waren die in sich zu-sammensackende Gummiburg und einige Dorfbe-421
    wohner zu sehen gewesen, und im nächsten Augenblick – nun, danach hatte es unzählige nächste Augenblicke gegeben.
    Die Kunst hatte darin bestanden, nicht von ihnen getroffen zu werden, während sie voneinander abge-prallt und kreischend durch die Luft geschwirrt waren. Was die Landschaft anging, so hatte sie sich irgendwie in Nichts aufgelöst. Es war, als ob (und der Bibliothekar von Guys dürftigem Phantasiearchiv kicherte hysterisch, als er die Anfrage für diesen Vergleich erhielt) die Welt ein riesiges pastellfarbe-nes Gemälde wäre, das gerade unter den Wasserhahn gehalten wurde; erst verliefen alle Farben, dann wurden sie einfach weggespült.
    »Giovanni, sind Sie noch da?« erkundigte sich Guy ängstlich.
    »Das kommt ganz darauf an, welche Kriterien man als Maßstab dafür nimmt«, antwortete Giovanni.
    »Wie meinen Sie denn das?«
    Zur Veranschaulichung steckte Giovanni Mittel-und Zeigefinger in Guys Augen.
    »Jetzt hören Sie doch mal endlich damit auf, immer in Rätseln zu reden, und beantworten Sie einfach meine Frage, Giovanni. Sind Sie noch da oder …«
    »Dann haben Sie das eben nicht gemerkt?«
    »Was?«
    »Oder das?«
    »Was?«
    »Oder« – Giovanni grunzte vor Anstrengung –
    »das hier?«
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    »Würden Sie jetzt bitte aufhören, so ein dummes Zeug zu reden und mir … ?«
    Giovanni ließ das Messer fallen und antwortete:
    »Ein Teil von mir ist hier und ein Teil von Ihnen auch. Der Rest …«
    Beide duckten sich instinktiv, denn es gab drei laute Explosionen, als die Hauptfaktoren der Industriellen Revolution mitsamt ihren Wurzeln ausgeris-sen und in die Luft geschleudert wurden. Gesprächs-fetzen flatterten herab und legten sich, noch leise brabbelnd, rings um sie. Zum Wohl von Guys geistiger Gesundheit unterhielten sie sich nicht in Sprachen, die er verstand.
    »Schon gut, vergessen Sie’s. Aber würde es denn die Sache irgendwie erleichtem, wenn ich nicht wissen wollte, was hier vor sich geht?«
    Giovanni zuckte die Achseln. »Nein. Passiert ist folgendes: Der historische Teil von Ihnen und mir ist sozusagen verdampft. Alles, was von uns noch da ist, ist das, woraus …« Während Giovanni kurz darüber nachdachte, flatterte ein Splitter des Nordamerikani-schen Bürgerkriegs wie ein Ahornsamen herab und blieb in seinem Haar stecken. »Na ja, eben das, woraus Sie wirklich bestehen, nehme ich an«, stellte er wenig überzeugend fest. »In Ihrem Fall heißt das Neugier, Angst und ein gewisses Maß an übertriebener Skepsis. In meinem Fall ein starker Selbsterhaltungstrieb, gepaart mit einem extrem ausgeprägten Geschäftssinn. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie sich das Ganze hier auf die Wechselkurse auswirkt?«
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    »Ja aber …«
    »Sag ich’s doch«, stellte Giovanni süffisant fest.
    »Gleich als ich Sie das erstemal gesehen habe, war mir klar, daß Sie ein typischer Ja-aber-und-dann-drei-Auslassungspunkte-Vertreter sind. Ich hingegen bin eher der Packen-wir’s-an-Typ.«
    Doch Guy hörte ihm nicht mehr zu. Er blickte nach oben, und er beharrte darauf, daß das, was er da sah, der Himmel war, auch wenn dort gerade der größte Film aller Zeiten lief.
    Er begann weit entfernt in der Zukunft und ver-wendete eine riesige Palette an Bildaufteilungstech-niken, wie es sich kein sterblicher Regisseur in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können.
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