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Wenn Die Nacht Beginnt

Wenn Die Nacht Beginnt

Titel: Wenn Die Nacht Beginnt
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vorbei war.
    Die Sonne streifte die Baumwipfel. Irgendwo in den Wäldern hinter mir hörte ich den Klang von Jeffreys Axt. Ich ging auf den Steg hinaus und setzte mich hin – meine Füße baumelten knapp über dem Wasser, und ich beobachtete, wie die Sonne verschwand.
    Plötzlich bewegte sich einer der hohen, dunklen Pfähle auf dem entfernten Steg. Irgendetwas kam platschend aus dem Wasser, tanzte in der Luft und plumpste zurück ins Wasser. Nachdem ich den Fisch gesehen hatte, nahm ich die dunkle Angel wahr, die sich zwischen dem Fisch und dem langen Schatten des Mannes auf dem Steg bog. Ich sah fasziniert zu, wie die Angel eintauchte und sich wieder aufrichtete und der Mann sich mit ihr bewegte, bis der Fisch wieder aus dem Wasser sprang. In der Luft zuckte er noch einmal heftig und silbrig und schien Flügel zu bekommen. Die Angel schnellte zurück, der Fisch flog in einem eleganten Bogen durch die Luft und platschte wieder in den See, in die Freiheit.
    Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt zu applaudieren. Das Geräusch schien wie eine kleine Salve von Kanonenfeuer über das Wasser zu hallen. Der Schatten auf dem Dock wandte sich in meine Richtung. Ich spürte, wie unter mir die Holzplanken vibrierten, und hinter mir sagte Jeffrey:
    »Also ist er doch hier.«
    Ich wandte mich überrascht um, weil seine Worte mehr gezischt als gesprochen waren.
    Ich berührte Jeffreys Arm. »Dann ist er eben hier. Das macht doch nichts.«
    »Macht nichts? Natürlich macht es etwas aus. Darum ging es doch. Verdammt noch mal, darum ging es mir doch gerade, ich wollte mit dir allein sein.«
    Ich lachte und machte eine zittrige Geste in Richtung der endlosen, schwarzen Wälder. »Ich glaube, wir haben genug Platz.«
    Jeffrey sah zu mir herunter. Die Verspannung in seinem Kinn löste sich, als er lächelte. Die seltsame Panik, die ich wegen des Mangels an Sonnenlicht gehabt hatte, verschwand. Er legte den Arm um mich, und wir gingen zusammen über den Steg zurück.
    Bevor wir die Veranda betraten, schaute ich noch einmal nach dem Angler, aber er war weg.
    Die Laterne beruhigte mich, der Holzofen, der duftende Eintopf, und auch Jeffrey, der alte Jeffrey, der von Harry's Tap, der plauderte und lachte und über den wackeligen Tisch griff, um meine Hand zu berühren.
    Als der Eintopf vertilgt war, die Teller gespült, die Weingläser noch einmal gefüllt, stand er auf und führte mich zu dem Feldbett. Er schob die Kissen an die Wand, lehnte sich dagegen und zog mich an seine Schultern. »Jetzt lass uns reden«, meinte er. »Was ist los? Was ist mit uns passiert, Hannah? Oder sollte ich eher fragen, was ist mit dir passiert? Meine Gefühle sind immer noch die gleichen. Und, weißt du, ich glaube, dass tief innen drin, wo es wirklich zählt, die deinen auch gleich geblieben sind.«
    »Jeffrey«, sagte ich ausweichend. Es muss der Wein gewesen sein, mein Gehirn schien in den Leerlauf gerutscht zu sein.
    »Dann ist es wohl so. Ich hatte Recht, nicht? Es liegt nicht an uns. Wenn wir nur zu zweit sind, weg von allem und allein, dann ist alles in Ordnung. Du gehörst zu mir, Hannah, kannst du das nicht sehen?«
    »Ich … ja … manchmal …«
    Der Arm, den er um mich gelegt hatte, spannte sich an. War er ärgerlich? Ich wollte nicht, dass Jeffrey sich ärgerte. Und jetzt, in diesem Augenblick, schien ich tatsächlich zu ihm zu gehören. Das Holz knisterte und knackte behaglich im Ofen, die Laterne tauchte die dunklen Holzwände in ein freundlicheres Licht, Jeffreys Hände wärmten meine Haut, und die Zweifel, die ich vielleicht in Bezug auf ihn gehabt hatte, schienen mit den dunklen Wäldern zu verschwinden.
    Aber ich schlief trotzdem schlecht in jener Nacht, denn ich war zu empfänglich für die Geräusche des Holzes, die Hüttengerüche und Halluzinationen. Als der Tag anbrach, ging es mir besser, und ich befand mich immer noch in einem wirren Halbschlaf, als um neun Uhr Jeffreys Lippen über meine Wange strichen.
    »Ich muss in der Stadt Eis holen. Bleib noch liegen. Der Kaffee steht auf dem Ofen.«
    Ich nahm kaum seine Worte wahr und wurde erst mit einem Ruck hellwach, als der Motor des Wagens brummte. »Jeffrey!« Ich griff mir meinen Morgenmantel und rannte auf die Veranda, aber ich kam um Sekunden zu spät. Die Bremslichter des Autos blinzelten einmal durch die Bäume und waren verschwunden.
    Aber die Sonne war da, ein herrlicher, zitronenfarbener Ballon, der über den Baumwipfeln schwebte, die Schatten vertrieb und die Luft
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