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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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Plan und fast ohne Anhaltspunkte. Angeblich fuhren sie auf einer Straße oder hielten sich in deren Nähe – Unterschiede in der Bodenbeschaffenheit waren nicht zu erkennen, auch fehlten die landesüblichen Telegrafenmaste. Bizarr geformte Schneewächten oder halbversunkene Überreste von Camps und Bohrtürmen – die Bohrlöcher, meilenweit voneinander entfernt, hatten sich nicht als fündig erwiesen, erläuterte Kircheiß, der Geologe – zwangen das Auge immer wieder, sich daran festzusaugen. Als sie einmal auf eine grell kolorierte Planke mit der Aufschrift North American Trading and Transportation Company stießen, sprang Jugurtha wie elektrisiert aus dem Schlitten und untersuchte sie. Das Brett stammte wahrscheinlich von einem Lastwagen und war mit Löchern – frischen Durchschußlöchern – gespickt. Die andern hatten den Fund gar nicht bemerkt. Also vergaß auch er ihn und döste weiter.
    Seit gestern war das Wetter im Aufklaren. Ob die Sprengung von Y 771 ein Loch in die Wolkendecke gerissen hatte oder nicht – das graue, tiefhängende Nebelmeer war in Bewegung geraten, schien lockerer zu sein. Trübes Licht, zwischen Nacht und Tag dahinsiechend, breitete sich aus, die Fernsicht wurde klarer, die Umrisse waren schärfer. Kircheiß, Laale und der Oberbaurat steckten ihre Köpfe zusammen und trieben die Hiwis zu größerer Eile an.
    Gestern abend war Wind aufgekommen, aus Nordwest, die Temperatur sank im Nu auf schätzungsweise minus fünfzehn. Jugurtha und vier andere mußten Wache schieben, ein bitteres Vergnügen, während der Rest mit den Roten in einer breiten Mulde das Nachtbiwak errichtete. Die Haut brannte unterm Anhauch des eisigen Feuers, die Glieder erstarrten. Wenn dieser Wind anhielt und den wärmenden Nebel verjagte, würde es noch tiefere Temperaturen geben. Bis jetzt hatten sie Glück gehabt.
    Das Biwak bestand aus einer sinnreichen Kombination von Zeltbahnen, Renntierfellen und kleinen, in den gewachsenen Schnee versenkten Höhlen. Der Eingang zu jedem Stollen war durch Zeltmatten geschützt, die von fest eingepfählten Skiern gehalten wurden. Es war wie ein Fuchsbau. Die Indianer, flinke Burschen mit breiten Schultern und gedrungenem Körper, die lehmfarbenen Gesichter zerfurcht und durchgegerbt, erwiesen sich als wahre Meister im Schnellbau solcher Biwaks, die wohnlicher sein sollten als Iglus.
    Es waren Tlinkits, wie Kircheiß sagte, Einwanderer aus Alaska. Zuerst hatten sie am oberen Yukon Arbeit gesucht, dann waren die Nickelgruben des Rankin Inlet der große Magnet gewesen; als diese aber unter deutsche Verwaltung kamen und die Lohnarbeiter durch Zwangsarbeiter, Alaska-Russen und Sibirjaken, ersetzt wurden, schlossen sich die Tlinkits in kleinen Siedlungen zusammen. Da lebten sie nun, in den ungeheuren Ebenen verstreut, von Pelztierfang, Gelegenheitsverdiensten, Fellhandel. (Übrigens hatte in Chesterfield, das ebenfalls Heydrich hieß – Jugurtha zerdrückte eine heimliche Träne –, bis vor kurzem ein Einkaufszentrum der Reichsgruppe Handel, Wi-Gru Groß-, Ein- und Ausfuhrhandel, Fachgruppe Rauchwaren, Untergruppe Nordamerika, Zweigstelle Hudson Bai, amtiert.) Die von Kircheiß angeheuerten Rothäute waren Abkömmlinge des weitverzweigten Wolf-Clans, und zwar aus der Sippe des Meerschweins, dieses war auch ihr Totemtier. Der einst im ganzen Nordwest-Territorium wegen seiner Grausamkeit gefürchtete Stamm – Schultze-Rüssing hatte ihn in seinem Lehrbuch erwähnt – hauste nun insofern friedlich mit den Eskimos zusammen, als er diese, wo immer es anging, kräftig übers Ohr haute. Die Meerschwein-Indianer verehrten den Big Chieftain Adolf Hitler (sie nannten ihn einfach „Big Hit“) und waren, wie Kircheiß seinen Zuhörern versicherte, die besten Abnehmer für WHW-Abzeichen.
    Der Abend war in düsterster Stimmung verlaufen, niemand sprach. Es gab Fischkonserven, Marmelade, Dauerbrot und etwas Kondensmilch – winzige Rationen. Man rückte in den Schlafsäcken nah aneinander, um die animalische Wärme auszukosten; durch die Luftlöcher in der Decke pfiff es schneidig herein. Sigga lag zwischen Jugurtha und dem Oberbaurat, sie sah mit ihrer spitzen gelben Nase und den dunklen Augenhöhlen wie eine tote Dämonin aus. Noch immer war sie schön. Jugurtha, der kein Auge zumachte, sich aber schlafend stellte, spürte mehr, als daß er es sah, wie sie sich von dem Mann mit den abgebissenen Fingernägeln heimlich abgreifen ließ. Es ekelte ihn. Endlich war die Tranfunzel erloschen,
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