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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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Krankengeschichte kennen, falls eine vorhanden. Würden Sie mir was darüber sagen?“
    „Liebend gern – wenn ich befugt war, zu reden. Ich weiß auch zuwenig. So viel aber darf ich Ihnen sagen, daß die betreffende Persönlichkeit sehr, sehr krank ist. Alles andre, also das, was den Fachmann intressiert, werden Sie an Ort und Stelle erfahren. Meldung bei T 4 [Höllriegl überlief es plötzlich kalt] bei Obersturmführer Hirnchristl, übrigens engerer Landsmann, netter Kerl, begeisterter Nationalsozialist – er weiß Bescheid. Von ihm erhalten Sie alle Instruktionen. Möglicherweise [Schwerdtfeger sog angestrengt an seiner Zigarre, die keinen guten Zug hatte] wird man die Astrologie mit einspannen. Vielleicht sogar [ironisches Geblinzel der Kalmükenaugen] den allerobersten Sterndeuter. Sie haben doch nix dagegen, oder?“
    „Nein, sicher nicht, obwohl … Meine Untersuchungen sind ganz ohne Tuchfühlung so ziemlich für die Katz. Klarerweise gibt es eine wissenschaftlich objektive Feststellung der Erdeinwirkung auf Organismen. Wie aber diese Erdeinwirkung einen bestimmten Organismus unter bestimmten Umständen beeinflußt, ist eine eigene und heikle Sache – das herauszubekommen, ist Gefühlssache! Nennen Sie es Einfühlung, Intuition, Fingerspitzengefühl, schwarze Magie … Wann soll ich in Berlin sein?“
    „Momentino, habs nicht mehr intus!“ Schwerdtfeger holte sich sein Notizbuch und blätterte darin. „Übermorgen – Montag. Hirnchristl erwartet Sie um 16 Uhr. Sie brauchen der Wache nur Ihren Namen zu sagen. Morgen ist Ihr Reisetag.“
    Höllriegl erhob sich. Der knappe, etwas herrische Ton, mit dem die letzten Sätze gesprochen waren, störte ihn. Das wollte absolut nicht zu Schwerdtfegers sonstiger Art passen. Ein undurchsichtiger Bursche – jedenfalls mit Vorsicht zu genießen.
    Der Abschied war wieder überaus herzlich, gleichsam ostmärkisch. Voll innerer Unruhe ging Höllriegl seines Weges. Der Pflichtlehrgang mußte gleich beginnen. Schwerdtfegers Auftrag ehrte ihn – selbstverständlich. Was aber steckte dahinter? Und dann diese ölige Ausdrucksweise: Liebend gern – Momentino – das ganze Getue. Zum Kotzen! Ein Gesalbter, einer mit höheren Weihen, zweifellos. Das „Parlament“ war vermutlich eine Falle gewesen, eine unter andern. Die übrigen hatte er nur nicht bemerkt. Hätte er darauf reagieren sollen? Und was für eine Bewandtnis hatte es mit der Meldestelle T 4? Das war, wie jedermann wußte, der frühere Sitz des Amtes für Bevölkerungspolitik und Erbgesundheit, also der Zentrale für das Euthanasieprogramm: Tiergartenstraße vier. Aktion „Sonderbehandlung 14 F 13“. 1959 waren es noch rund 748.000 Personen gewesen, in ganz Europa. („Mein verfluchtes Zahlengedächtnis!“) Bald darauf hatte man die Zahl herabgesetzt, weil alle halbwegs arbeitsfähigen Erbkranken in die UmL verbracht wurden, wo man sie in eigenen, kobenartigen Käfigen hielt – teils um als Versuchskaninchen für die Neurochirurgie zu dienen, teils um zu niedrigsten Arbeiten verwendet zu werden. (Auch erfolgreich lobotomierte Debile wurden der Wirtschaft wieder zugeführt.) Die Euthanasiebehörde war inzwischen verlegt worden – wohin, das hatte Höllriegl „nicht mehr intus“. Die Anrüchigkeit war geblieben. Wie hatte doch T 4 geheißen? … Die Reichsabdeckerei. Wer war jetzt dort untergebracht?
    Er sah sich um. Aus seiner Abwesenheit mit der Empfindung von Bedrohtsein erwachend, fand er sich in den langen, menschenleeren Korridoren verirrt, einer so eintönig und uniform wie der andere. Wahrscheinlich war er schon von Schwerdtfegers Quartier aus in die falsche Richtung gegangen. Seine Stiefel hallten auf den Fliesen. Der Privattrakt schien hier sein Ende zu haben, die Amtsräume mußten im entgegengesetzten Block liegen. Vor den Fenstern die Ödnis des Kasernenhofs in nebligem Licht. Höllriegl eilte, nervös geworden, durch ein Gewirr von halbdunklen, unversehens enger werdenden, winkeligen Gängen. Manchmal war es, als verfolgten ihn hinter angelehnten Türen stiere, brennende Blicke über gekrümmten Rücken, als sähe er auf breite, gelbglänzende, niedrige Stirnen unter filzig schwarzem Haar hinab – erstarrte Gruppen. War es die leibeigene Gefolgschaft bei Reinigungsarbeiten? (Halbtiere anzusprechen, wäre sinnlos gewesen.) Als Höllriegl eine kurze, gewundene Steintreppe emporgestiegen war, empfing ihn plötzlich ein geräumiger Flur von klar geprägter Bauart und in heiter-blassen
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