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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Autoren: Thomas Görden
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Rudel am Zaun versammelt, alle Tiere standen ruhig da und schauten den Fremden an. Chris hatte ihren Vortrag völlig vergessen, so gebannt verfolgte sie mit den anderen Besuchern das eigenartige Schauspiel.
    Wie auf Kommando hoben alle Wölfe gleichzeitig die Köpfe und heulten ein zweites Mal. Da warf der Mann den Kopf in den Nacken und erwiderte das Heulen, nicht ruhig und kontrolliert wie Chris oder andere Wolfsforscher zu heulen pflegten, um die Tiere aufzuspüren oder anzulocken, sondern auf eine wilde, halb wahnsinnige, erschreckende Weise. Dabei rüttelte er am Zaun, als wolle er ihn mit den Händen aufreißen. Plötzlich hielt er inne und schien zu bemerken, daß Chris und die Besucher ihn von der Tribüne aus völlig entgeistert anstarrten. Seine große Gestalt entspannte sich, und es hatte den Anschein, als erwache er aus einem bizarren Traum. Er schüttelte heftig den Kopf, stieß einen seltsam unartikulierten Laut aus, eine Art Stöhnen, drehte sich rasch um und lief in den Wald zurück. Regungslos am Zaun verharrend, schauten die Wölfe ihm nach. Ihr Futter schienen sie völlig vergessen zu haben.
    Ein alter Mann sah Chris verwundert an. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.“ Sie merkte, daß ihre Stimme ein wenig zitterte. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Ihres Wissens hatte noch kein Forscher jemals ein solches Verhalten eines Wolfsrudels einem Menschen gegenüber beobachtet. Es war rätselhaft, geradezu unheimlich.
    Normalerweise reagierten die Wölfe auf Menschen außerhalb des Geheges entweder mit Angst und Flucht oder mit Desinteresse. Aber das Verhalten des Rudels dem Fremden gegenüber erschien Chris völlig unwölfisch. Wie sie sich da schweigend um ihn geschart hatten – als sei ihnen der Wolfsgott persönlich begegnet. Erst jetzt lösten sie sich allmählich aus ihrer Starre und wandten sich wieder den vor der Tribüne liegenden Fleischbrocken zu. „Dieser Kerl hat sich ja gebärdet wie ein Wahnsinniger“, sagte jemand besorgt.
    „Na, immerhin habt ihr sie mal richtig schön heulen hören“, meinte eine junge Frau zu ihren drei Kindern. Das größte von ihnen, ein vielleicht achtjähriger Junge, versuchte das Wolfsgeheul nachzumachen, was ihm aber kläglich mißlang. Die beiden anderen lachten.
    Als die Wölfe ihr Fleisch vertilgt hatten und allmählich wieder zwischen den Bäumen untertauchten, leerte sich die Besuchertribüne. Chris ging zu ihrer Schubkarre, um sich auf den Rückweg zum Wirtschaftsgebäude des Parks zu machen. Ein Mann löste sich aus der Besuchergruppe, die vor ihr dem Ausgang zustrebte, und blieb am Gehege stehen. Er schaute hinüber zu der Stelle, wo der seltsame Fremde im Wald verschwunden war. Als Chris an ihm vorbeiging, drehte er sich zu ihr um und sagte: „Wirklich faszinierende Tiere. Als Zoologin mit Wölfen zu arbeiten ist bestimmt sehr interessant?“
    Chris blieb stehen. „Ja“, sagte sie lächelnd. „Wissen Sie, Wölfe haben ein erstaunliches Sozialverhalten. Manchmal wünschte ich, die Kommunikation zwischen Menschen würde genauso gut funktionieren.“
    Der Mann erwiderte das Lächeln, aber nur mit dem Mund, nicht mit den Augen. Chris fand seinen Blick bohrend, nicht sehr angenehm. „War das eben denn ihr normales Sozialverhalten? Ich meine die Art, wie sie auf diesen… sonderbaren Herrn am Zaun reagiert haben?“ Seine Augen bewegten sich nervös hin und her, und er nagte für einen kurzen Moment an seiner Unterlippe.
    Chris bemerkte kleine Schweißperlen an seinem Haaransatz.
    „Nein“, sagte sie, „das war völlig außergewöhnlich.“ Sie schüttelte den Kopf. „So etwas habe ich bei ihnen noch nie erlebt.“
    „Gibt es dafür eine Erklärung? Ich meine, wie konnte er die Aufmerksamkeit der Wölfe so auf sich ziehen?“
    Chris merkte, wie sie sich innerlich versteifte. „Ich habe keine Ahnung“, sagte sie langsam. Die Art, wie er mit ihr sprach und sie dabei ansah, gefiel ihr nicht. Sie fühlte sich ausgefragt, fast wie bei einem Verhör. War er Journalist? „Die Sache scheint Sie ja sehr zu beschäftigen“, entgegnete sie.
    „Dafür habe ich meine Gründe“, sagte er rasch. „Danke für Ihre Auskunft.“
    „Ich konnte Ihnen doch gar nicht weiterhelfen“, wunderte sich Chris.
    Doch da hatte der Mann sich bereits abgewandt und ging mit eiligen, langen Schritten in Richtung Ausgang davon. Chris schaute ihm verwundert nach. Unwillkürlich schlossen sich die Finger ihrer rechten
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