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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Autoren: Thomas Görden
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gerufen“, stammelte sie.
    Jonas faßte sie an den Schultern und sah ihr in die Augen. „Aber du wirst keine Dummheiten machen, du bleibst schön hier bei mir, okay?“
    „Jonas!“ rief jemand aufgeregt. „Da bist du! Was sollen wir machen? Du mußt Verstärkung aus Euskirchen holen!“
    „Ich gehe eben schnell telefonieren.“ Jonas´ Stimme schien leise und weit weg zu sein, erreichte Chris kaum. „Ich komme sofort zurück. Warte bitte hier auf mich, ja?“
    Du mußt allein kommen , hatte das Wesen gesagt. Jonas würde sie nie allein in den Wald lassen. Wie konnte es sein, daß sie die letzte Chance für die Menschen hier war? Worin bestand ihre Bestimmung? Sie mußte jetzt sofort gehen, solange Jonas im Haus war und telefonierte. Ihre Knie zitterten, dennoch setzte sie sich in Bewegung, ging erst langsam, dann immer schneller auf die Gartenmauer zu, vorbei an Kettlers und Roloffs bleich und starr am Boden liegenden Körpern. Durch das weitgeöffnete Tor ging sie hinaus auf die Straße. Sie nahm keine Notiz von den aufgeregt umherlaufenden Polizisten und dem gespenstischen Lichtschein, den die Blaulichter der eintreffenden Rettungswagen auf die Hauswand warfen. Chris sah nur den Wald, der auf der anderen Seite der Straße emporragte wie eine schwarze, schweigende Wand.

    Als Chris in die Dunkelheit unter den Bäumen eingetaucht war, geriet sie plötzlich in Panik. Sie wollte auf die Straße zurücklaufen, vor Henns hellerleuchtetes Haus. Die Stämme der Buchen waren finstere, stumme Schatten. Sie blieb keuchend stehen, lauschte. Das Stimmengewirr von Polizisten, Rettungssanitätern und verstörten Festgästen schien bereits sehr weit entfernt zu sein. Vor ihr lag eine andere Welt, erfüllt von fremden und zugleich uralt vertrauten Sprachen und Gesängen. Welt von Fell und witternder Nase und leuchtenden Nachtaugen, von Feder, Kralle und Schnabel, Welt von flüsternden Zweigen und träumenden Steinen. Wenn du jetzt weitergehst, gibt es kein Zurück mehr, dachte sie, laufe zu Henns Haus, suche Jonas, lasse dich von ihm wegbringen, packe deine Koffer, setze dich ins Flugzeug.
    Lebe ein normales Leben als angesehenes Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinde. Frau Dr. Chris Adrian. Rationale, das Leben nüchtern beobachtende Zoologin. Vortragsreisen, Fachpublikationen, Professur. Verschließe dich vor der Wildnis. Nimm Schlaftabletten gegen verstörende Träume.
    Weiter in den Wald hinein, damit Jonas sie nicht fand und beschützte. War es der Wind, oder besaßen die Zweige ein eigenes Leben? Leise raschelnde Schlangen. Sie blieb wieder stehen und zog den Medizinbeutel aus der Tasche. Du bist niemals allein . Rosenquarz für Herzensstärke und Mitgefühl. Die Erde bat ein Herz ausflüssigem Feuer . Sie spürte die Maserung der kleinen hölzernen Wolfsfigur unter ihren Fingerspitzen. Traumwolfs silbernes Fell vor dem roten Flimmern ihrer geschlossenen Lider.
    - Mach die Augen auf, für dich ist die Nacht taghell, durch meine Kraft hast du die Nachtaugen der Wölfe.
    - Traumwolf, wird das Bärenwesen mich töten?
    - Das Land gibt Leben und nimmt Leben. Wenn der Mensch freiwillig gibt, was er geben muß, wird es ihm nicht unter Schmerzen entrissen. Letztlich gibt es keinen Tod, nur Wandel. Alles wechselt unaufhörlich die Form. Du mußt wieder lernen zu tanzen, dann wirst du aufhören, solche dummen Fragen zu stellen.
    - Ich habe Angst, in dieser Welt keinen Halt mehr zu finden.
    - Du mußt deine eigene Kraft finden und ihr vertrauen.
    Ich werde von jetzt an nicht mehr zu dir sprechen.
    - Traumwolf! Ich habe gerade angefangen, mich wieder auf dich zu verlassen, wie früher, als ich Kind war. Geh nicht weg!
    - Worte sind nur ein erster Weg, um den Kontakt herzustellen. Du mußt lernen, über die Worte hinauszugehen zu den Bildern und Gefühlen in deinem Herzen. Immer wenn du an mich denkst und meine Kraft in dein Herz einläßt, werde ich bei dir sein. Du mußt lernen, die Bilder der Alltagswelt und die Bilder der anderen Welt auf schöpferische, heilende Weise miteinander zu verbinden. Dabei wird meine Wolfskraft dir helfen.
    Sein Bild trieb davon wie Wolkenfetzen im Sturm. Sie war allein. Für einen Moment stürzte die Dunkelheit des Waldes auf sie ein, schien Chris ersticken und unter sich begraben zu wollen. Dann spürte sie, daß Traumwolf gar nicht wirklich fort war. Er wohnte in der Leere zwischen den Atomen ihres Körpers und wartete darauf, daß sie ihn hereinließ. Also öffnete sie ihr Herz, und jetzt
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