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Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe

Titel: Wendland & Adrian 01 - Schattenwölfe
Autoren: Thomas Görden
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auf das eine tödlich grelle Sonne herniederbrannte. Sie sah zu Ruinen zerfallene Städte und Dörfer, wo zerlumpte, knochendürre Gestalten hungrig und verzweifelt durch mit rostigen Autowracks übersäte Straßen streiften, vergeblich bemüht, sich gegen den giftigen Staub zu schützen, den ein unbarmherziger Wind ihnen in die krebsig verbrannten Gesichter blies.
    Gablenz‘ Körper richtete sich noch einmal auf. Die Stimme des Wesens wurde wieder lauter: „Noch muß diese tödliche Vision nicht Wirklichkeit werden. Aber eure Zeit wird knapp. Ich gebe dir den Auftrag, die Menschen auf den natürlichen Weg zurückzuführen, Schwester Wolfsträumerin. Dein zweites Gesicht und die Wolfskraft werden dir dabei helfen, neue Rituale zu finden, mit denen du eure Beziehung zum Land und seinen Kindern heilen kannst. Das ist eure letzte Chance.“ Mit ihrem zweiten Gesicht sah Chris, wie der Geist des Bärenwesens aus Gablenz‘ Körper austrat, ein dunkler Nebel, der zunächst formlos aufstieg und sich dann zu einer mächtigen Raubtiergestalt verdichtete. Chris sah den runden, massigen Bärenschädel, die kleinen, wachsam funkelnden Augen, die krallenbewehrten Pranken. Die Wölfe stimmten ein lautes Geheul an. Ein rundes Loch tat sich im Erdboden auf, ein in unbekannte Abgründe hinabführender Schacht oder Tunnel. Das Wesen stieg in den Schacht und verschwand in den Tiefen der Erde.
    Chris glaubte schon, das Loch werde sich wieder schließen, doch in der Öffnung erschien ein wunderschönes Leuchten, ein warmes, freundlich wirkendes Licht. Gablenz stöhnte und hustete. Er schaute sie an, und in diesem Moment wußte sie, daß sein eigenes Bewußtsein zurückgekehrt war.
    „Wie schön“, sagte er schwach, „hier draußen auf einem Berg zu sterben. In der ... warmen Morgensonne.“ Er spuckte Blut und winkte Chris nahe zu sich heran. Als sie sich über ihn beugte, flüsterte er mühsam: „Ich kenne Sie nicht, aber sagen Sie Schlei und Roloff, daß ich mich geirrt habe. Ich habe mich, was die Natur des Lebens und des Universums angeht, in praktisch allen Punkten vollkommen geirrt.“ Er schüttelte langsam den Kopf. „Das ... Leben ist so wunderbar. Aber ... wir Wissenschaftler wollen das nicht sehen. Wir laufen ... blind am Wesentlichsten vorbei.“ Die letzten Worte hauchte er nur noch, kaum hörbar: „Muß ... jetzt gehen ... das Licht... wartet auf mich ...“ Als sein Kopf zurücksank und sein Blick brach, lächelte er.
    Chris sah, wie das schöne, warme Leuchten verschwand und das Loch in der Erde sich wieder verschloß. Langsam richtete sie sich auf.
    Auch die Wölfe waren aufgestanden und schauten sie an. Zwölf von ihnen hatten überlebt, darunter Zora und Hektor, der jetzt vermutlich den Platz von Rex als Alphawolf des Rudels einnehmen würde. Chris fühlte sich mehr denn je für sie verantwortlich. „Was fange ich denn nun mit euch an?“ fragte sie laut. „Ich will nicht, daß man euch jagt und tötet. Und ich will auch nicht, daß ihr wieder in ein Gehege gesperrt werdet. Ihr sollt frei umherstreifen können, wie es eurer Natur entspricht. Lauft! Sucht euch eine neue Heimat. Haltet euch in den Wäldern auf, meidet Straßen und Siedlungen. Viel Glück!“
    Die Wölfe bewegten die Ohren und starrten sie aufmerksam an, rührten sich aber nicht. Sie verstanden Chris nicht. Natürlich nicht. Die Sprache der Wölfe kannte keine Worte. Einen Moment spielte Chris, die immer noch die kleine Wolfsfigur in der Hand hielt, mit dem Gedanken, Traumwolf um Rat zu fragen. Dann fiel ihr ein, daß er nicht mehr in ihrer eigenen Sprache zu ihr sprechen würde. Du mußt lernen, über die Worte hinauszugehen, zu den Bildern und Gefühlen in deinem Herzen, hatte er gesagt. Lerne die Bilder der Alltagswelt und die Bilder der anderen Welt auf schöpferische, heilende Weise miteinander zu verbinden.
    Das war die Sprache der nichtmenschlichen Geschöpfe. Bilder und Gefühle. Chris‘ Herz war immer noch erfüllt von Traumwolfs Kraft. Sie stellte sich vor, daß diese Kraft wie ein roter Lichtstrahl hinüber zu den Wölfen strömte und das ganze Rudel in diesem roten Licht gebadet wurde. Dann schickte Chris auf dem Lichtstrahl Bilder zu ihnen hinüber. Sie zeigte ihnen, begleitet von freundlichen Gefühlen, die Wälder der Eifel, deren Rehe, Hirsche und Wildschweine ihnen Nahrung boten. Begleitet von einem warnenden, achtsamen Gefühl, zeigte sie ihnen Bilder von Menschen mit Jagdgewehren, von Autostraßen und Häusern. Und zum
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