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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses
Autoren: Henry Miller
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stand Ginette mit erhobener Faust auf der anderen Straßenseite und schrie aus Leibeskräften. Die Leute blieben stehen, um zuzuhören und Partei zu ergreifen, wie sie es bei Straßenhändeln immer tun. Fillmore wußte nicht, wie er sich verhalten sollte, ob er weggehen oder zu ihr hinübergehen und versuchen sollte, sie zu beschwichtigen. Er stand mit ausgestreckten Armen mitten auf der Straße und versuchte, auf irgendeine Art und Weise ein Wort einzuwerfen. Aber Ginette schrie noch immer: « Gangster! Brute! Tu verras, salaud! » und andere Schmeicheleien. Schließlich machte Fillmore eine Bewegung auf sie zu und sie, die vermutlich glaubte, er wolle ihr einen weiteren tüchtigen Hieb verpassen, setzte sich in Trab die Straße hinunter. Fillmore kam zu mir zurück und sagte: «Komm, gehen wir ihr ruhig nach.» Wir machten uns mit einem kleinen Gefolge von Bummlern hinter uns auf den Weg. Alle paar Augenblicke drehte Ginette sich nach uns um und drohte mit der Faust. Wir machten keinen Versuch, sie einzuholen, sondern folgten ihr nur gemächlich die Straße hinunter, um zu sehen, was sie tun würde. Schließlich verlangsamte sie ihren Schritt, und wir gingen auf die andere Straßenseite hinüber. Sie war jetzt still. Wir gingen weiter hinter ihr drein, wobei wir immer näher und näher kamen. Jetzt war nur noch etwa ein Dutzend Menschen hinter uns, die anderen hatten das Interesse verloren. Als wir uns der Straßenecke näherten, blieb sie plötzlich stehen und wartete auf unser Herankommen. «Laß mich reden», sagte Fillmore. «Ich weiß, wie man sie behandeln muß.»
    Als wir sie erreichten, liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Ich wußte nicht, auf was man sich bei ihr gefaßt machen mußte. Ich war daher ein wenig erstaunt, als Fillmore auf sie zuging und mit gekränkter Stimme sagte: «War das vielleicht nett, was du da getan hast? Warum hast du dich so benommen?» Worauf sie ihm die Arme um den Hals warf und wie ein Kind zu weinen begann und ihn ihren kleinen dies und ihren kleinen das nannte. Dann wendete sie sich flehend an mich. «Sie haben gesehen, wie er mich schlug», sagte sie. «Benimmt man sich so gegen eine Frau?» Ich wollte gerade ja sagen, als Fillmore sie am Arm ergriff, um sie fortzuführen. «Nichts mehr davon jetzt», sagte er. «Wenn du noch einmal davon anfängst, verprügle ich dich mitten auf der Straße.»
    Ich dachte, es würde nun noch einmal von vorne losgehen. Ihre Augen glühten. Aber offenbar war sie auch ein wenig eingeschüchtert, denn der bedrohliche Ausdruck legte sich rasch. Als sie sich jedoch im Café hinsetzte, sagte sie ruhig und grimmig, er brauche nicht zu denken, daß es so schnell vergessen wäre. Er würde später, vielleicht heute nacht, mehr darüber hören.
    Und weiß Gott, sie hielt Wort. Als ich ihn am nächsten Tag wiedersah, waren sein Gesicht und seine Hände ganz zerkratzt. Anscheinend hatte sie gewartet, bis er im Bett lag, und war dann ohne ein Wort zum Kleiderschrank gegangen, hatte alle seine Sachen auf den Fußboden geworfen und sie dann Stück für Stück genommen und in Fetzen gerissen. Da das früher schon einige Male vorgekommen war, und da sie sie nachher wieder zusammengeflickt hatte, erhob er keinen besonders heftigen Einspruch. Aber das machte sie nur um so wütender. Sie wollte ihre Nägel in ihn schlagen und tat das auch nach bestem Vermögen. Durch ihre Schwangerschaft hatte sie ihm gegenüber einen gewissen Vorteil.
    Armer Fillmore! Es war nicht zum Lachen! Sie hielt ihn unter ihrer Fuchtel. Drohte er davonzulaufen, so antwortete sie mit der Drohung, ihn zu töten. Und sie meinte, was sie sagte. «Wenn du nach Amerika gehst», drohte sie, «komme ich dir nach! Du entkommst mir nicht. Eine Französin weiß sich immer zu rächen.» Aber im nächsten Augenblick schmeichelte sie ihm, doch ‹vernünftig›, ‹ sage › usw. zu sein. Ihr Leben würde so nett werden, wenn sie erst einmal das Schreibwarengeschäft hätten. Er brauche keinen Schlag Arbeit zu tun. Sie würde alles machen. Er könne dann hinten im Laden bleiben und schreiben oder tun, wozu immer er Lust habe.
    So ging es wochenlang weiter, hin und her, ein Auf und Ab. Ich ging ihnen so gut wie möglich aus dem Weg, die Nase voll von der Geschichte und angeekelt von den beiden. Dann, eines schönen Sommertages, als ich gerade am Crédit Lyonnais vorbeiging, wer kommt die Stufen herunter? Fillmore! Ich begrüßte ihn herzlich, fühlte ich mich doch ein wenig schuldbewußt, ihm so
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