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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
Autoren: Deborah Crombie
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klang erregt.
    Sie eilte zur Tür, um ihm zu öffnen, und schüttelte missbilligend den Kopf, als sie sah, in welchem Zustand sein Mantel und sein Hut waren. »Henri! Was machst du denn da draußen bei dem Wolkenbruch?«, fragte sie, als sie ihn hereinließ. »Bei so einem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür.«
    Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, während sie ihm seine triefnassen Sachen abnahm und an die Garderobenhaken neben der Tür hängte.
    »Du siehst wie immer blendend aus«, sagte er, ohne ihre Frage zu beantworten, und strich sein feuchtes, aber volles weißes Haar glatt. Er war immer noch ein gut aussehender Mann, mit fein geschnittenem Kinn und blauen Augen, die einen durchdringend ansahen, und seine Haltung war stets kerzengerade, obwohl er, wie sie wusste, Probleme mit der Hüfte hatte.

    Er hatte seinen französischen Akzent fast vollständig abgelegt, was Erika ebenso amüsierte wie die Tatsache, dass er früher einmal ihr Student gewesen war und sie eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt hatte, sich auf eine Affäre mit ihm einzulassen. Am Ende hatte sie seine Annäherungsversuche zurückgewiesen, weil sie sich wegen des Altersunterschieds albern vorgekommen war – heute dagegen fand sie es albern, dass sie damals auf das Vergnügen verzichtet hatte, nur um ihre Würde zu wahren.
    Die Erinnerung an eine andere versäumte Gelegenheit schoss ihr durch den Kopf, doch der bloße Gedanke daran war einfach zu schmerzlich, auch heute noch. Sie verdrängte ihn, während sie Henri die Hand drückte und ihn bat: »Komm rein, komm rein!« Sie freute sich geradezu unbändig, ihn zu sehen. »Wir machen ein Feuer im Kamin, obwohl es ja angeblich eine Sünde ist, so spät im Jahr, und dann schenke ich uns einen Sherry ein.«
    »Du weißt doch, dass ich das Zeug nicht ausstehen kann«, erwiderte Henri, während er ihr ins Wohnzimmer folgte. Nachdem er sorgfältig seine Hose abgeklopft hatte, nahm er in dem Sessel neben ihrem Platz und wischte dann die Plastiktüte, die er mitgebracht hatte, mit einem Taschentuch trocken, das er aus seiner Jackentasche fischte.
    »Dann eben einen Whisky. Du weißt ja, dass ich die Flasche nur für dich aufhebe.«
    Zögernd antwortete er: »Nein, lass nur, Erika. Ich will deine Gastfreundschaft nicht ausnutzen.« Er räusperte sich. »Das hier ist auch eigentlich kein Freundschaftsbesuch.«
    Beunruhigt fragte sie: »Was ist denn passiert, Henri? Bist du etwa krank?«
    »O nein, nichts dergleichen. Bloß meine Arthritis, die meldet sich natürlich wieder bei diesem feuchten Wetter. Es ist nur …« Er brach ab und strich mit der Hand über die Plastiktüte. Erika sah, dass sie den Schriftzug des Auktionshauses Harrowby’s trug. »Es ist nur so, dass ich heute auf etwas sehr Merkwürdiges gestoßen
bin, und es mag sein, dass ich mich in Dinge einmische, die mich nichts angehen, aber ich dachte mir, dass du das sehen solltest.«
    »Henri, wovon redest du eigentlich?«
    Er zog ein schmales, broschiertes Buch aus der Tüte, und sie sah, dass es ebenfalls das Harrowby’s-Logo auf dem Einband trug. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es sich um den Katalog für eine bevorstehende Auktion von Art-déco-Schmuck handelte – und ihr stockte der Atem.
    Henri schlug den Katalog auf, blätterte ihn rasch durch, bis er die Seite im hinteren Teil gefunden hatte, und hielt ihn Erika hin. »Hier. Ich habe sie natürlich an dem Namen erkannt und durch deine Beschreibung.«
    Ihre Hände zitterten, als sie ihre Lesebrille von dem Buch nahm, das sie angefangen hatte. Als sie sie aufsetzte, stand die Seite plötzlich gestochen scharf vor ihren Augen. Sie musste nicht erst die Beschreibung lesen. Die Wände des Zimmers schienen zurückzuweichen, und mit aller Kraft stemmte sie sich gegen den Ansturm der Erinnerung.
    Mit verständnisloser Miene blickte sie zu Henri auf. »Aber das ist nicht möglich. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie noch einmal zu Gesicht bekommen würde.«
    Henri nahm ihr den Katalog ab und legte ihn beiseite, und erst, als er ihre Hände in seine nahm, merkte sie, dass ihre plötzlich eiskalt waren. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Irrtum ist, Erika.« Mit sanfter Stimme fügte er hinzu: »Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, wo die Vergangenheit wieder hergeben muss, was sie genommen hat.«
     
    Sie waren inzwischen bei Dessert und Kaffee angelangt, und endlich begann Gemma sich ein wenig zu entspannen. Sie hatte sich gefreut, Chief Superintendent
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