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Welt im Fels

Welt im Fels

Titel: Welt im Fels
Autoren: Harry Harrison
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erfahren, daß es auf der Erde etwas gibt, was man dort Nationen nennt. Es ist schwer zu sagen, warum diese Nationen existieren und welchem Zweck sie dienen, aber das ist hier nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß eine dieser Nationen von dem Mann geführt wurde, den wir jetzt den Großen Planer nennen. Seine Macht war so groß, daß er sich ein Denkmal errichtete, so groß wie es in der Geschichte noch nie eins gegeben hatte. In seinen Schriften stellt er überheblich fest, daß sein Werk großartiger sei als die Pyramiden und alles, was es je gegeben hat. Diese Welt. Er beschreibt genau, wie sie entworfen und gebaut und auf die Reise geschickt wurde, und er ist sehr stolz darauf. Doch richtig stolz ist er auf die Menschen, die in dieser Welt leben, die zu den Sternen reisen und in seinem Namen menschliches Leben hinbringen. Verstehst du nicht, warum er so fühlte? Er hat eine ganze Rasse geschaffen, die ihn anbetet. Er hat sich zum Gott erhoben.«
    »Er ist Gott«, sagte der Chefobservator, und Wachmann Steel nickte und berührte ihren Deus.
    »Nicht Gott, nicht einmal ein Teufel, obwohl er den Namen verdiente. Nur ein Mensch. Ein schrecklicher Mensch, mächtig, ehrgeizig, maßlos und ohne Gewissen. Die Bücher berichten über das Wunder der Azteken, die er zur Erfüllung seiner Mission erschuf, ihre künstlich herbeigeführte Geistesschwäche und Unterwürfigkeit. Das ist kein Wunder – sondern ein entsetzliches Verbrechen. Kinder wurden geboren, von den prächtigsten Menschen im Lande, und schon vor ihrer Geburt geistig verkrüppelt. Sie wurden ihren Eltern weggenommen und von Spezialisten erzogen, abergläubischer Unsinn wurde ihnen beigebracht, und dann wurden sie in dieses Felsengefängnis gepfercht, um hier hoffnungslos zu vegetieren und dann zu sterben. Und, was noch schlimmer ist, um ihre Kinder nach ihrem eigenen idiotischen Vorbild in Angst und Aberglauben zu erziehen, Generation um Generation, lauter nutzlose, leere Leben. Du weißt das ganz genau, nicht wahr?«
    »Es war Sein Wille«, antwortete der alte Mann ungerührt.
    »Ja, das war es, und es rührt dich nicht im geringsten, weil du der Anführer der Gefangenenwärter bist, die diese Rasse in Gefangenschaft halten, und du willst diese Gefangenschaft in alle Ewigkeit verlängern. Du bist ein armer, abgestumpfter, herzloser Krüppel. Hast du je darüber nachgedacht, woher du und dein Volk kommen? Ist es ein Zufall, daß ihr alle so treu ergeben und so diensteifrig seid? Geht dir nicht auf, daß ihr auf die gleiche Weise gemacht wurdet wie die Azteken? Daß dieses Ungeheuer, nachdem er in den alten Azteken ein geeignetes Gesellschaftsmodell für die Talbewohner gefunden hatte, nach einer Menschengruppe suchte, die während der jahrhundertelangen Reise den Haushalt versorgen würde. Er fand die Lösung im religiösen Fanatismus, der schon immer eine traurige Verirrung des menschlichen Daseins war. Glaube ersetzte das Denken und das Ritual den Verstand. Dieser Mann untersuchte all diese Kulte und wählte den schlimmsten, den er finden konnte, um die Gesellschaft zu konstruieren, in der ihr lebt. Ihr haltet Schmerzen für seligmachend und verabscheut Liebe und natürliche Gefühle. Ihr freut euch über euer langes Leben und seht auf die kurzlebigen Azteken wie auf niedere Tiere herab. Ihr glaubt tatsächlich, ihnen zu dienen, und haltet sie brutal und grausam unterdrückt. Erkennt ihr die ritualisierte Vergeudung eures leeren Lebens nicht? Begreift ihr nicht, daß eure Intelligenz auch getrübt und eingeschränkt wurde, damit keiner von euch über die Dinge nachdenkt, die ihr zu tun habt? Seht ihr nicht, daß ihr genauso Verdammte und Gefangene seid, wie die Bevölkerung im Tal?«
    Erschöpft lehnte sich Chimal in seinem Sessel zurück und blickte in ihre Gesichter, das eine starrsinnig verkniffen, von kaltem Haß erfüllt, das andere leer, einfältig und verständnislos. Nein, sie begriffen nicht. Es gab niemanden, der ihn verstehen würde. Das Gefühl großer Einsamkeit und Trauer überkam ihn.
    »Nein, ihr könnt es nicht begreifen«, sagte er resignierend. »Der Große Planer hat zu gut geplant.«
    Bei seinen Worten berührten ihre Finger automatisch den Deus. Er seufzte und schüttelte den Kopf.
    »Wachmann Steel«, befahl er, »dort drüben ist Essen und etwas zu trinken. Bring es mir!« Sie beeilte sich, seinem Wunsch zu entsprechen. Er aß langsam und spülte das Essen mit dem warmen Tee aus der Thermosflasche hinunter, während er seine nächsten
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