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Welt im Fels

Welt im Fels

Titel: Welt im Fels
Autoren: Harry Harrison
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Es war Malinche, ein Mädchen mit rundem Gesicht, runden Augen und von rundlicher Gestalt. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen zu ihm auf, während sie weinte. Ihr Mund stand weit offen, so daß er die Lücke in der oberen Zahnreihe sehen konnte. Das Wasser lief ihr in Strömen aus Augen und Nase, so aufgewühlt war sie. Aus plötzlicher Wut schlug er sie mit seinem Strohbüschel über Schultern und Rücken. Sie wich nicht zurück und schien es nicht einmal wahrzunehmen.
    Der alte Atototl kam in der nächsten Reihe vorbei und trug einen fetten Hund zum Priester. Da er der Kazike war, der erste Mann in Quilapa, stand ihm dieses Recht zu. Chimal mischte sich unter die Menge, die sich anschickte, dem Kaziken zu folgen. Am Rand des Feldes wartete Citlallatonac, der Oberpriester. Er bot einen schrecklichen Anblick in seinem schmierigen schwarzen, über und über mit Blut bespritzten Gewand, an dessen im Staub schleppenden Saum Totenköpfe und Knochen befestigt waren. Atototl ging mit ausgestreckten Armen auf ihn zu, und die beiden alten Männer beugten sich über den zappelnden Hund. Citlallatonac stieß dem kleinen Tier sein schwarzes Messer in die Brust, riß mit Geschick das noch schlagende Herz heraus und hielt es als Opfer für Tlaloc in die Höhe, wobei er das Blut zwischen die Maispflanzen spritzen ließ.
    Mehr konnte man nicht tun. Aber der Himmel war immer noch wolkenlos und heiß. Einzeln und zu zweit gingen die Dorfbewohner traurig davon, und Chimal, der sonst immer allein ging, war nicht überrascht, Malinche neben sich zu sehen.
    »Jetzt wird der Regen kommen«, sagte sie zuversichtlich. »Wir haben geweint und gebetet, und der Priester hat ein Opfer gebracht.«
    Aber wir weinen und beten Jahr für Jahr, Monat für Monat, dachte er, und der Regen kommt oder er kommt nicht, wie es ihm gefällt. Nur die Priester im Tempel werden heute abend gut essen, einen schönen fetten Hund werden sie essen, aber laut sagte er: »Ja, es wird Regen kommen.«
    »Ich bin sechzehn«, sagte sie, und als er nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Ich mache gute Tortillas und bin stark. Unlängst hatten wir keine Masa, und der Mais war nicht enthülst, und da war nicht einmal Kalkwasser, um Masa für die Tortillas zu machen, deshalb sagte meine Mutter …«
    Chimal hörte nicht zu. Er blieb in sich gekehrt und ließ den Klang ihrer Stimme an sich vorbeistreifen wie den Wind, den er nicht beachtete. Sie gingen nebeneinander zum Dorf. Irgend etwas bewegte sich über ihnen, kam aus dem grellen Sonnenlicht und glitt über den Himmel auf die graue Felswand zu. Chimals Augen folgten dem Schatten, einem Zopiloten, der zu dem Felssims flog. Der Anblick des Vogels und die Erinnerung an die Felswand, an jene Nacht – die ließen sich vergessen, aber das idiotische Geplapper des Mädchens machte ihn rasend. »Ja, ich esse gern Tortillas «, sagte er, als er merkte, daß das Gerede verstummt war.
    »Wie ich sie am liebsten esse …«, fing sie sofort wieder an, aber er hörte nicht hin. Doch der Zorn verschwand nicht, auch nicht, als er abbog und das Haus seiner Mutter betrat und Malinche betroffen auf der Dorfstraße stehen ließ. Seine Mutter kniete am Metatl und mahlte den Mais für das Abendessen. Sie blickte auf und nickte ihm zu, ohne in ihren Bewegungen innezuhalten.
    »Ich sehe Malinche dort draußen. Sie ist ein gutes Mädchen und kann tüchtig arbeiten.«
    Malinche stand draußen auf der Straße, von der offenen Haustür eingerahmt, breitbeinig und plump, die nackten Füße fest auf die Erde gestemmt. Die Rundungen ihrer üppigen Brüste wölbten ihr über die Schultern gelegtes Huipili. Sie ließ die Arme herabhängen und hatte die Fäuste geballt, als ob sie auf etwas wartete. Chimal wandte sich ab, hockte sich auf die Matte und trank kühles Wasser aus dem tönernen Krug.
    »Du bist fast einundzwanzig Jahre alt, mein Sohn«, sagte Quiauh mit aufreizender Ruhe, »und die Sippen müssen verbunden werden.«
    Chimal wußte das alles, aber er wollte es nicht gelten lassen. Mit einundzwanzig hatte ein Mann zu heiraten; mit sechzehn hatte ein Mädchen zu heiraten. Eine Frau brauchte einen Mann, der Nahrung für sie besorgte; ein Mann brauchte eine Frau, die ihm die Nahrung zubereitete. Die Anführer der Sippen entschieden, wer wen zu heiraten hatte, und die Heiratsvermittlerin wurde zugezogen …
    »Ich will sehen, ob ich ein paar Fische fangen kann«, sagte Chimal plötzlich, stand auf und nahm sein Messer aus der Wandnische. Seine
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