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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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sich hinter den Mauern der Bützower Haftanstalt – seiner zweiten Heimat – besser als in Freiheit.
    »Und, wie steht’s bei dir?« Natürlich duzten wir uns. Kaum ein Klient ging auf das Angebot des Du nicht ein. Kalles Hände waren unablässig in Bewegung. Er zupfte an seiner Nasenspitze, trommelte auf den Armlehnen seines Stuhls herum, fuhr sich mit dem Handrücken über die Bartstoppeln, die aus seinen rot geäderten Wangen sprossen. Das dabei entstehende Schaben, ein Geräusch, das ich nicht ausstehen konnte, ging glücklicherweise in seinem kollernden Husten unter. Der Nikotingilb an seinem Zeige- und Mittelfinger zeugte davon, dass er nicht gerade Gelegenheitsraucher war.
    »Ach, immer dasselbe. Das Geld ist alle und noch so viel Monat übrig.« Sein Grinsen legte dunkelbraune Stummel und schwarzen Lücken frei, die miteinander um die Vorherrschaft in seinem Mund kämpften. Die Schwarzen befanden sich auf dem Siegeszug.
    »Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?« Ein paar Mal war es mir gelungen, erboste Ladeninhaber, die Kalle beim Schnapsklauen erwischt hatten, durch rechtzeitige Intervention von einer Anzeige abzuhalten.
    »Nö, alles normal.« An der Nase zupfen, sich über die dunkelfettigen Resthaare streichen, das Armlehnengetrommel wieder aufnehmen – all das vollführte er in einer flüssigen Bewegung. Wenn seine Hände nicht so zittern würden, wäre er vielleicht ein guter Zauberkünstler, überlegte ich. Kartentricks, Münzen zwischen den Fingern rotieren und ver-schwinden lassen, Kaninchen aus dem Hut ziehen. Ich rief meine Gedanken zur Ordnung.
    »Hast du dich inzwischen um ein neues Bett gekümmert?« Beim letzten Besuch hatte er davon berichtet, wie er sturzbetrunken in sein Bett gefallen war, wo allerdings bereits einer seiner Saufkumpane geschnarcht hatte. Dies hatte der Lattenrost nicht überlebt. Kalle murmelte irgendetwas Unverständliches. Dann richtete er seinen Blick für einen Sekundenbruchteil auf mich, sah wieder weg und stieß »Reparier ich demnächst« hervor.
    »Und wo schläfst du zurzeit?«
    »Ich hab die Matratze neben das Bett gelegt, weißt. Geht auch so.«
    Ich kannte seine Einraumwohnung mit Kochnische. Neben dem Bett hatten dort gerade mal ein Schrank, ein Stuhl und der riesige Fernseher Platz. Trotzdem feierten bei ihm gelegentlich – meist nach der monatlichen Auszahlung des Arbeitslosengeldes – mehr als zehn Leute nächtelange Partys. So erzählte er jedenfalls, vielleicht übertrieb er auch ein wenig.
    »Ist sogar ganz praktisch«, fuhr Kalle mit einem schmalen Grinsen fort. »So kann ich nicht mehr aus dem Bett fallen.«
    Wir hechelten noch ein wenig Stadtklatsch durch und ich sah auf die Uhr. Länger als eine halbe Stunde dauerten unsere Gespräche nie. Ich konnte im Anschluss einen Aktenvermerk schreiben – Lubinski pünktlich zum Termin erschienen – und Kalle wackelte eilig hinaus zu seinem nächsten Schluck aus der Pulle. Den Flachmann hier in der Dienststelle zu zücken, kam nicht in Frage, hier herrschte absolutes Alkoholverbot. Kalle war bei einer seiner elliptischen Geschichten angelangt, meine Gedanken waren längst abgeschweift, da wurde ich mit einem Mal hellhörig.
    »… so’n Silberling, ’ne CD, und die ist voller Fotos von Weibern. Alle von draußen, durchs Fenster fotografiert. Manche nackich, manche im Bett. Burkhard hat aber auch immer so’n Schiet. Und da sehen wir plötzlich die Tote. Die aus dem Spiegelberg, weißt. Da wurde mir ganz komisch.«
    Wenige Minuten und gezielte Nachfragen später wusste ich, dass die CD im Besitz seines Kumpels Burkhard Kraus war, der die Aufnahmen aber nicht gemacht haben wollte.
    »Der? Der hat doch nicht mal ’nen Fotoapparat.«
    Auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht allzu groß schien, damit zur Aufklärung des Mordes an der Studentin und zur Entlastung Wolfgang Zorns beizutragen, bat ich Kalle, die CD zu beschaffen und mir vorbeizubringen. Je schneller der wahre Täter gefasst würde, desto eher wäre Wolfgang Zorn aus der Schusslinie von Polizei und fanatischer Nachbarschaft, bildete ich mir ein.
    Eigentlich neige ich nicht zu naivem Optimismus.
    ***
    Die Sonntagssonne strahlte von einem makellosen Himmel, es war windstill und – für diesen Sommer ungewöhnlich – seit zwei Tagen trocken. Ich legte die Tasche mit meinen Boulekugeln in den Rucksack und dachte an Zorn. Er hatte einen weiteren Montag und damit eine weitere Demo vor seinem Haus verkraften müssen. Wenn er schlau gewesen war,
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