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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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bildenden Künstlerin, von seinem Hobby erzählt.
    »Der Ärmste. Wie muss er sich nur fühlen, wenn unter seinen Fenstern der Mob aufmarschiert? Obwohl er seine Strafe abgesessen hat, wird er noch einmal bestraft.« Sie blickte mich forschend an. »Was wirst du tun?«
    Sie wusste, ich würde wie ein Löwe um sein Junges kämpfen, um meine   Jungs und Mädels   vor Ungerechtigkeiten in Schutz zu nehmen. Ich nahm ihre Hand, küsste ihre Finger und überlegte dabei.
    »Als Erstes versuche ich, herauszubekommen, wer bei der Polizei geplaudert hat. Derjenige bekommt von mir etwas zu hören. Dann fahre ich gleich Montag zum Friedenshof und schaue mir diese unsägliche Neuauflage, diese Negativpause der Montagsdemos an. Aber zuallererst, Frau Weller, gehe ich mit dir hinunter ans Wasser und wir lassen uns eine Weile die Ostseeluft um die Nasen wehen. Sollen wir Bodo mitnehmen?« Seit sich unsere Nachbarin ein Bein gebrochen hatte, gingen wir mit ihrem Setter, so oft wir Zeit hatten, Gassi.
    ***
    Als ich vom Parkplatz aus die Stufen erklomm, war etwas wie ein vielstimmiges Raunen in der Luft, ein Murren, das aus tierischen oder auch menschlichen Kehlen stammen mochte. Noch sah ich nichts, spürte nur die Elektrizität, die in der Atmosphäre britzelte, mir den Magen zusammenzog. Auf der Höhe der   Alten Mensa , dem Tempel für die jungen und nicht mehr ganz so jungen Tanzwütigen der Stadt, sah ich das erste Transparent.
    WER SCHÜTZT UNSERE KINDER?
    Da waren sie. Ein Block aus 20 oder 30 Erwachsenen, keiner über 50, mehrere Frauen mit Kinderwagen. Sie standen in kleinen Grüppchen, starrten grimmig, diskutierten, gestikulierten, verbreiteten insgesamt eine latente Feindseligkeit, gepaart mit ängstlichem Trotz. Eine Frau mit blonden, um den Kopf drapierten Zöpfen verteilte aus einer Thermoskanne Kaffee an die Demonstranten. Ein feister Glatzkopf in einem blauweiß gestreiften Fischerhemd ging von Gruppe zu Gruppe, spendete offenbar Zuspruch, schüttelte hier und da eine Hand, tätschelte einem Mann jovial die Schulter. Er kam mir entfernt bekannt vor, doch noch bevor mir einfiel, wer er war, begann die Meute, erst verhalten, dann lauter, zu skandieren.
    »Mörder raus. Mörder raus!«
    Ich blickte hinüber zu Hausnummer 6, dorthin, wo Wolfgang Zorn seit einigen Monaten lebte. Alle Fenster des Hauses waren unbelebt, die Gardinen und Vorhänge geschlossen. Nur im Nebenhaus drückte sich auf einer Fensterbank im Erdgeschoss ein kleiner Junge die Nase an der Scheibe platt. Ich trat an eine der Gruppen heran.
    »Worum geht es denn hier?«
    Ein Enddreißiger mit Bierfahne deutete auf Zorns Hauseingang.
    »Da wohnt einer, der mehrere Morde auf dem Gewissen hat. Von uns will den keiner hier haben. Wenn der man nicht auch die Studentin massakriert hat.« Die neben ihm stehende Frau mischte sich ein und verschüttete beinahe den Kaffee aus ihrem Pappbecher, als sie mir mit schriller Stimme erklärte: »Stellen Sie sich vor, der kriegt wieder seinen Rappel. Ich geh im Dunkeln nicht mehr raus.« Sie zog wie fröstelnd ihre mageren Schultern hoch. Eine der Kinderwagenfrauen drehte sich zu uns um.
    »Der soll sich auch an Kindern vergangen haben.« Sie erschauerte theatralisch. »Wie kann die Stadt so etwas zulassen, dass der sich, einfach so, hier am Friedenshof niederlässt. Und keiner weiß davon. Unverantwortlich ist das!«
    »Na, das ist ja nun nicht mehr der Fall, dass niemand davon weiß«, wagte ich zurückzugeben.
    »Ja, aber nur, weil die Nachbarschaft hier noch funktioniert«, mischte sich der Biertrinker wieder ein. Sein Arm, an dessen Ende die obligatorische Dose hing, umschloss mit einer fahrigen Bewegung das aus eintönigen Wohnblocks bestehende Viertel, in dessen Mitte wie ein Kuckucksei die   Alte Mensa   thronte. Glasscherben auf den Betonplatten vor dem Eingang zeugten von den alkoholbedingten Exzessen der Discobesucher. »Jetzt muss der nur noch weg. Am besten wieder in den Knast, wo er herkommt. Der ist doch gemeingefährlich.«
    »Kennen Sie den Mann denn persönlich?« Mein Blick in die Runde erntete verschiedenartige Übersprungshandlungen: kollektives Wegsehen, die besorgte Mutter steckte ihrem Säugling den Schnuller in den Mund und der Biertrinker setzte die Dose an, ließ sich seinen flüssigen Schnuller in den Rachen rinnen. »Woher haben Sie erfahren, dass der hier zugezogen ist?« Ich selbst hatte noch keine Gelegenheit gefunden, mich bei Dietmar Holter nach der undichten Stelle zu erkundigen. Denn
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