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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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durch andere umzugehen. Außerdem arbeitete er daran, möglichst generell die Finger vom Alkohol zu lassen. Er tat das nicht nur, weil das Training samt Abstinenz zu den richterlichen Auflagen gehörte, die an seine Entlassung geknüpft worden waren, sondern, wie mir schien, weil er ernsthaft bemüht war, nicht wieder in den Sog von Suff und Gewalt gezogen zu werden.
    »Ich weiß nicht, aber die Kollegen aus Schwerin, die den Mordfall Spiegelberg untersuchen, wollen ihn vernehmen. Sie haben mich angerufen und …«
    »Wann und wo soll die Vernehmung stattfinden? Bei euch oder in Schwerin?«
    »Deswegen rufe ich ja an. Das wird dir nicht gefallen. Die wollen, womöglich zusammen mit einem Uniformierten, bei Zorn zu Hause auflaufen, sein Umfeld in Augenschein nehmen. Dabei haben sie anscheinend kaum mehr gegen ihn vorliegen als seine Vorstrafen. Eine reine Routineüberprüfung.«
    Ich schluckte einen Fluch hinunter. Natürlich war ich, nach dem brutalen Mord an einer Wismarer Studentin vor drei Wochen, meine   Jungs und Mädels   durchgegangen, hatte überlegt, ob jemand von ihnen für die Tat in Betracht kam, ob jemand nicht nur das Potential, sondern auch Anlass und Gelegenheit gehabt haben könnte, um als Täter in Frage zu kommen. Doch ich war immer wieder zu dem gleichen Schluss gelangt. Dieser Mord war keinem von ihnen zuzutrauen. Alle weiblichen Klienten fielen meines Erachtens schon allein wegen der Tatumstände aus. Die junge Frau, Studentin am Fachbereich Architektur an der Wismarer Hochschule, war in ihrer Wohnung überfallen worden; der Täter hatte ihr mit Säure das Gesicht verätzt und sie dann mit einem schweren Glasaschenbecher erschlagen. Es handelte sich offensichtlich nicht um einen klassischen Raubmord – außer einem wertvollen Smaragdring, einem Erbstück, den sie ständig getragen hatte, fehlte nichts in der Wohnung des Opfers – und auch nicht um ein Sexualdelikt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte die Ermordete den Täter gekannt und selbst in die Wohnung gelassen.
    So viel wusste ich aus der Lokalpresse und von Dietmar. Zwar hatte ich zurzeit 67 Gewalttäter unter meinen Fittichen, aber wegen Totschlags oder Mordes waren sehr wenige von ihnen verurteilt worden. Diese Klienten konnte ich an einer Hand abzählen: Die stille Endzwanzigerin, die als 19-Jährige ihr gesundes Baby – ihr drittes Kind – aus Verzweiflung und Überforderung kurz nach der Geburt mit der Nabelschnur erwürgt hatte und behauptete, es wäre bereits tot zur Welt gekommen. Der Apotheker, der den Argumenten und Forderungen seiner Frau jahrelang nichts anderes entgegensetzen zu können meinte, als seine Fäuste – sie hatten ihr in einem besonders zermürbenden Streit um die Verwendung einer kleinen Erbschaft schließlich den Tod gebracht. Der Mittzwanziger, der einen alkoholverursachten Streit in einer Diskothek mit einem Messer beendete, das er seinem Kontrahenten in die Brust stach. Der erfolglose Gebrauchtwagenhändler, der mit einem Überfall auf einen Geldtransporter seine Firma sanieren wollte und dabei versehentlich den Fahrer erschoss. Und dann war da noch Wolfgang Zorn, der jedoch noch nie Frauen gegenüber gewalttätig geworden war.
    Die anderen 62 waren die notorischen Schläger, die Ver-gewaltiger und Kindesmisshandler, die rechtsextremen Wirrköpfe, die Jagd auf Dunkelhäutige und Andersdenkende gemacht hatten, der verzweifelte Berufsschüler, der seine Lehrerin als Geisel genommen hatte, und so weiter und so weiter. Nicht einer also, der wirklich verdächtig schien.
    Holter hatte Recht. Der Besuch der Kripoleute bei meinem Klienten zu Hause gefiel mir überhaupt nicht, machte er doch möglicherweise die Erfolge zunichte, die Zorn seit seiner Entlassung erzielt hatte. Wenn es schief lief, er sich in die Enge getrieben fühlte, dann bestand durchaus Gefahr, dass er durchdrehen und möglicherweise sogar die Beamten angreifen würde.
    »Wann?«, knurrte ich ins Telefon.
    Holter lachte unfroh auf.
    »Wusste ich’s doch, dass dich das auf die Palme bringen würde. Wenn du dich beeilst, schaffst du es, vor ihnen da zu sein.«
    Ich schaffte es nicht. So gerne ich durch meine Anwesenheit ausgleichend auf das Temperament Wolfgang Zorns gewirkt hätte, das, wenn er sich provoziert fühlte, seinem Namen alle Ehre machte. Doch in Warin warteten drei meiner   Jungs und Mädels   auf mich. Eine simple Rechnung: drei gegen einen. Eine meiner Maximen lautete, niemanden zu bevorzugen. Und genau das hätte ich in
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