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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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springen. »Hatten sie denn etwas Konkretes gegen dich in der Hand?«
    »Ach was. Ist doch klar: In Wismar geschieht ein Mord. Die Polizei tappt im Dunkeln und wer soll es gewesen sein? Natürlich jemand wie ich. 1 + 1 macht 3. Einmal Totschläger, immer Totschläger. So einfach ist das.« Sein eingefallener Brustkorb hob und senkte sich. Er kämpfte mit sich, legte das Feuerzeug auf den Tisch und rang die Hände. »Außerdem habe ich kein Alibi für die Tatzeit.«
    Das sah überhaupt nicht gut aus, ganz und gar nicht gut. Ich seufzte, glaubte aber keine Sekunde lang, dass mir derjenige gegenübersaß, den die Presse lüstern als »Säuremörder« tituliert hatte.
    »Aber es ist dir gelungen, ruhig zu bleiben.« Ansonsten hätte er kaum hier in meinem Büro sein können, sondern wäre wegen tätlichen Angriffs auf ein Organ der Rechtspflege wieder hinter Gittern.
    Nicken.
    »Sehr schön. Das ist doch ein Erfolg. Lass uns darüber reden, wie du es geschafft hast, deine Aggressionen zu kontrollieren, was dir dabei geholfen hat.«
    »Bullshit! Die wollen mir was anhängen.« Er war aufgesprungen, sein schlaksiger Körper wankte wie eine Boje über dem Besprechungstisch. »Und wenn das so weitergeht, werden sie das auch schaffen.«
    »Wenn was weitergeht?«
    Seine Brauen hatten sich zu einem dicken schwarzen Strich zusammengezogen. Ich versuchte noch eine Weile, ihn aus der Reserve zu locken, doch für die restlichen zehn Minuten unserer vereinbarten Zeit blieb Wolfgang Zorn stumm.
    ***
    Ellen raschelte mit der Wochenendausgabe der Lokalzeitung, schnaubte vernehmlich und ließ das Blatt, das wir trotz seines dürftigen Inhalts abonniert hatten, da einem ohne seine Lektüre doch zu viele Regionalia entgingen, auf den Frühstückstisch sinken. »Sieh dir das mal an, Weller.« Sie rutschte auf dem alten Sofa, das zusammen mit drei weiß lackierten Holzstühlen unseren Küchentisch umrahmte, zu mir herüber und deutete auf die Titelseite des Regionalteils. »Wenn das in unserem Land so weitergeht, stehen die irgendwann auch vor unserer Tür und demonstrieren – einfach nur, weil sie das dürfen.«
    Sie schüttelte sich und ich sah, was sie so erzürnte. ›Aufgebrachte Bürger demonstrieren gegen Mörder‹, stand da in dicken Lettern. Das Foto darunter zeigte eine Gruppe Menschen mit einem Transparent auf dem ›Wer schützt unsere Kinder?‹ zu lesen stand. Im Hintergrund meinte ich die   Alte Mensa   zu erkennen. Der Artikel berichtete über den lautstarken Bürgerprotest, der sich formiert hatte, nachdem bekannt geworden war, dass sich im Wohnviertel Friedenshof ein notorischer, unter Führungsaufsicht stehender Gewalttäter angesiedelt hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen. Mir war sofort klar, um wen es ging, auch wenn der kurze Artikel keinen Hinweis auf die Identität des Opfers des aufgebrachten Mobs gab.
    »Du weißt, wer das ist, nicht wahr?«
    Ich legte die angebissene Brötchenhälfte ab und griff nach der Zeitung.
    »In der Tat. Leider. Jetzt verstehe ich auch, was mit ihm los war, warum er in unserem letzten Gespräch so völlig zugemacht hat. Das ist ja entsetzlich!« Fassungslos las ich den Bericht. Aufmerksame Nachbarn – die es dort, wo sie wirklich hilfreich wären, so gut wie nie gab – hatten aufgedeckt, dass es sich bei dem entlassenen Straftäter um einen ›gemeingefährlichen Mörder‹ handelte. Eindeutig hatte der Journalist da Einiges zusammengewürfelt, was nicht den Tatsachen entsprach. Wolfgang Zorn war aus normaler Strafhaft, nicht aus der Sicherungsverwahrung in die Freiheit entlassen und nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt worden. Aber das wäre wohl nicht spektakulär genug gewesen.
    ›Der war mir von Anfang an unheimlich. Als dann die Polizei bei dem war, hat sich mein ungutes Gefühl bestätigt‹, wurde ›Anwohnerin Doris George (38)‹, zitiert. ›Ich bin jetzt jeden Montag dabei, bis das Monster wegzieht.‹ ›Eine Frau ist schon tot‹, hatte ihr nach den Recherchen des Journalisten der ›Nachbar Helmut Schumacher (47)‹ beigepflichtet, wobei nicht kommentiert war, ob er dies angstvoll oder drohend formuliert hatte.
    Ich ließ die Zeitung neben meinen Teller fallen, spürte die Empörung in mir brodeln. Ellen legte mir ihre warme Hand auf die Schulter.
    »Kenne ich ihn?« Im Winter hatten die Teilnehmer meiner Anti-Gewaltgruppe unter Ellens Anleitung Objekte und kleine Skulpturen aus Speckstein hergestellt.
    »Hmh. Der Fotograf.« Zorn hatte ihr, der
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