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Weit wie das Meer

Weit wie das Meer

Titel: Weit wie das Meer
Autoren: Nicholas Sparks
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aus, als sie war. Sie fühlte sich auch nicht alt, aber wenn sie sich in letzter Zeit im Spiegel betrachtete, glaubte sie zu sehen, wie das Alter sie einzuholen begann. Ein neues Fältchen um die Augenwinkel, ein graues Haar, das über Nacht gewachsen zu sein schien, ein etwas müder Blick, der die ständige Anspannung verriet.
    Ihre Freunde erklärten sie für verrückt. »Du siehst besser aus als vor Jahren«, beharrten sie, und Theresa bemerkte manchmal, daß ihr im Supermarkt noch Männer nachschauten. Aber sie war eben keine zweiundzwanzig mehr, würde es nie wieder sein. Nicht, daß sie das wünschte, doch manchmal dachte sie, sie sollte ihre Lebenserfahrung nutzen. Andernfalls würde sie bestimmt auf einen anderen David reinfallen - auf einen gutaussehenden Mann, den es nach den erfreulichen Dingen des Lebens gelüstete und der davon ausging, daß für ihn keine Regeln galten. Doch Regeln waren, verdammt noch mal, wichtig, vor allem in der Ehe. Ihr Vater und ihre Mutter hatten sie nicht verletzt, ihre Schwester und ihr Schwager nicht und Deanna und Brian genausowenig. Warum hatte er es tun müssen? Und warum, so fragte sie sich, während sie reglos am Wasser stand, warum kehrten ihre Gedanken nach all dieser Zeit immer wieder zu diesem Thema zurück?
    Es hing wohl damit zusammen, daß sie beim Eintreffen der Scheidungspapiere das Gefühl gehabt hatte, ein kleiner Teil ihrer selbst sei gestorben. Ihr anfänglicher Zorn war in Traurigkeit umgeschlagen und in eine Art Abgestumpftheit. Obwohl sie ständig in Bewegung war, kam es ihr vor, als spiele sich in ihrem Leben nichts Besonderes mehr ab. Ein Tag schien wie der andere, und es fiel ihr oft schwer, sie auseinanderzuhalten. Einmal, es mußte vor einem Jahr gewesen sein, hatte sie an ihrem Schreibtisch gesessen und etwa eine Viertelstunde darüber gegrübelt, was ihre letzte spontane Tat gewesen war. Es war ihr keine eingefallen.
    Die ersten Monate waren sehr schwer gewesen. Dann aber war ihr Zorn verebbt, und sie hatte nicht länger das drängende Bedürfnis verspürt, auf David einzuschlagen und es ihm heimzuzahlen. Sie hatte nur noch Selbstmitleid empfunden. Selbst die Tatsache, daß sie Kevin ständig um sich hatte, vermochte nichts daran zu ändern, daß sie sich allein auf der Welt fühlte. Eine Zeitlang hatte sie nachts nicht mehr als ein paar Stunden geschlafen, und manchmal war sie in der Redaktion von ihrem Schreibtisch aufgestanden und hatte sich in ihr Auto gesetzt, um zu weinen.
    Jetzt, nachdem drei Jahre vergangen waren, hatte sie echte Zweifel, daß sie je wieder jemanden so würde lieben können wie David. Als sie David auf einer Studentenparty das erste Mal gesehen hatte, war ihr sofort klar gewesen, daß sie mit ihm Zusammensein wollte. Ihre junge Liebe war ihr damals so überwältigend, so mächtig erschienen. Sie hatte nachts manchmal stundenlang wach im Bett gelegen und an ihn gedacht, und wenn sie über das Campus-Gelände gelaufen war, hatte sie so strahlend gelächelt, daß andere zurücklächelten.
    Doch eine Liebe wie diese ist nicht von Dauer, das jedenfalls war ihre Erfahrung. Mit den Jahren entstand eine andere Art von Beziehung. David und sie wurden älter - und entwickelten sich auseinander. Sie konnten sich kaum noch erinnern, warum sie sich anfangs so zueinander hingezogen gefühlt hatten. Im Rückblick kam es Theresa vor, als wäre David ein ganz anderer Mensch geworden, auch wenn sie nicht hätte sagen können, wann dieser Wandel eingesetzt hatte. Doch alles ist möglich, wenn die Flamme einer Liebe erlischt, und für ihn war sie erloschen. Eine Zufallsbegegnung in einem Video-Shop, ein Gespräch, das zu einem Lunch und schließlich zu Aufenthalten in verschiedenen Hotels rund um Boston geführt hatte.
    Das Gemeine an der ganzen Geschichte war, daß er ihr manchmal immer noch fehlte - zumindest seine guten Seiten. Die Ehe mit David war bequem wie ein Bett gewesen, in dem man seit Jahren schlief. Sie war es gewohnt gewesen, einen anderen Menschen um sich zu haben, mit ihm zu reden oder ihm zuzuhören; sie hatte es genossen, morgens mit dem Duft von Kaffee aufzuwachen. Nun fehlte ihr die Gegenwart eines anderen Erwachsenen in der Wohnung. Am meisten aber vermißte sie die Intimität, das Kuscheln und Flüstern hinter verschlossenen Türen.
    Kevin war noch nicht alt genug, um das zu verstehen, und obwohl sie ihn über alles liebte, war es nicht die Art von Liebe, nach der sie sich jetzt so sehnte. Ihr Gefühl für Kevin war
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