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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause
Autoren: dtv
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langsam ab. An einem zweiten Seil folgt eine zusammenklappbare Trage.
    Der Mann landet behutsam auf der Kohle und löst das Seil, dann nimmt er die Trage entgegen. Der Hubschrauber gewinnt kurz
     an Höhe.
    Der Mann in Orange spricht mit dem Kapitän, jetzt kommt er in die Kajüte, begrüßt Luisa, fühlt ihren Puls, ihre Stirn, streicht
     ihr über den Kopf,wickelt sie in eine Decke und trägt sie nach draußen, wo er sie in die Trage legt und festschnürt.
    Kein Wort wird gesprochen.
    Luisa lässt alles schweigend geschehen. Träumt sie das nur? War sie nicht gerade am See auf der Wiese? Hat sie nun das Kleeblatt
     gefunden? Kommt jetzt das Glück?
    Die Geräusche werden wieder lauter, der Hubschrauber senkt sich erneut. Luisa sieht, wie das Seil auf sie zuschwenkt. Bedrohlich
     rotieren die Propellerblätter, kalter Wind schlägt ihr ins Gesicht, winzige Kohlebrocken wirbeln auf.
    Dann klickt sich der Arzt mit Luisa ans Seil und vorsichtig werden sie nach oben gezogen.

Mindestens Doppelglück!
    Luisa schlägt die Augen auf. Sie liegt in einem fremden Bett, in einem fremden Zimmer. Langsam hebt sie den Kopf, am Fenster
     stehen ihre Eltern und sprechen leise miteinander, auf einem Stuhl sitzt Carlo mit seinem Gameboy. Katja und Thomas müssen
     das Rascheln ihrer Decke gehört haben und drehen sich ängstlich zu Luisa um. Tiefe Ränder unter ihren Augen verraten die durchweinte
     und durchwachte Nacht. Carlo ist blass und ernst. Luisas Blick wandert in Zeitlupe über die drei Menschen, die drei, mit denen
     sie zusammenlebt, die sie am besten kennt von allen Menschen auf der ganzen Welt und die ihr doch in den letzten Wochen schrecklich
     fremd geworden sind.
    Als die Eltern sehen, dass Luisa die Augen geöffnet hat, beleben sich ihre müden, abgespanntenGesichter. Thomas springt als Erster auf, läuft zu ihr, küsst ihre Wange, streicht mit beiden Händen das Haar aus der Stirn.
     Katja folgt ihm. Thomas schluckt, aber die Tränen, die er zurückhalten will, rinnen über sein Gesicht. Er setzt sich aufs
     Bett, nimmt Luisas Hand beschützend in seine beiden großen Hände, so als wolle er sie nie wieder loslassen. Endlich findet
     er die Worte, die stockend und mit einem nicht aufzuhaltenden Tränenfluss aus ihm herausbrechen:
    »Luisa, mein kleines Mädchen, mein einziges, über alles geliebtes Mädchen. Nie wieder werden wir dich so allein lassen, dass
     du weggehen willst.«
    Luisa lächelt und drückt schwach die Hand des Vaters. Dann steht Katja neben ihrem Bett und küsst sie sanft auf die Stirn.
    Erst nach und nach erinnert sich Luisa an das, was geschehen ist. Wie bei einem schnell gespulten Videoband rasen die Bilder
     durch ihren Kopf: Hafengelände, Frachtschiff, das düstere Versteck, Freddy, der bärtige Kapitän, Felder-Wiesen-Dörfer entlang
     des Rheins. Und dann reißt der Film und es gibt nur noch ein langes Schwarz, dunkel und still, ein großes Nichts.
    Wäre sie beinahe gestorben und hätte es nicht einmal gemerkt? Seltsam!
     
    Luisa schaut aus dem Fenster des Krankenhauses in die Krone des imposanten Kastanienbaumes, in ihrem Arm steckt eine Nadel
     mit einer Infusion. Es wird die letzte sein. Vier Tage ist sie schon hier und heute kann sie endlich nach Hause. Katja holt
     sie mit dem Auto ab.
    Vielleicht war sie gar nicht in diesem Hubschrauber, sondern doch auf der Wiese und vielleicht hat sie gleich zwei vierblättrige
     Kleeblätter gefunden: zweimal Glück.
    Das erste Kleeblatt brachte ihr die Aufnahme in den Zeichenkurs. Das zweite Glück war der Anruf ihrer Tante und die Einladung
     in die Schweiz: Sie hat in den Nachrichten gehört, dass Luisa gesucht wird, und später von der Rettungsaktion erfahren. Das
     Schönste aber, was passierte: Sie hat wieder mit Katja gesprochen. Ganz normal waren die Schwestern, wie früher!
    Echte Doppelportion Glück!
     
    Drei Uhr nachmittags, endlich fahren Mutter und Tochter nach Hause. Luisa sitzt auf dem Beifahrersitz. Sie ist noch sehr blass
     und wirkt bedrückt.
    Dann fasst sie endlich Mut und fragt: »Wie war das, Mama, an dem Tag, als ich nicht nach Hause gekommen bin?«
    Katja atmet tief durch, dann beginnt sie zu erzählen: »Zuerst habe ich gedacht, ich hätte einen deiner Schultermine vergessen.
     Aber dann sagte Carlo, dass er dich in den Pausen nicht auf dem Schulhof gesehen hatte. Erst in diesem Moment habe ich realisiert,
     dass irgendetwas nicht in Ordnung sein kann, und sofort deinen Vater angerufen.«
    »Und Papa? Was hat der
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