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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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Scheiße!«, tobt sie.
    Die Panik hält eine Weile an, und kurz darauf beziehen sie Posten, rechts und links des Fensters, das zum Hof hinausgeht. Ich entnehme ihrer Unterhaltung, dass der Cop mit einem Latino spricht, die Körpersprache des Officer aber vermuten lässt, dass es um keine dringliche Angelegenheit geht. Die Frau und Puder äußern wachsende Zuversicht und Erleichterung, weil der Officer offensichtlich nicht ihretwegen da ist. Aber warum verschwindet er dann nicht, wollen sie wissen. »Wieso geht der Wichser nicht endlich wieder an die Arbeit?«, fragt sie.
    Sie warten. Die Blutung an meiner Stirn hat anscheinend nachgelassen. Mit der Zunge erkunde ich den Schaden in meinem Mund. Von einem meiner unteren Schneidezähne ist ein Stück abgebrochen, und ein Backenzahn ist gesplittert. Er fühlt sich scharf an, ein gezackter Bergkamm. Aber ich kann nicht über Zahnprobleme nachdenken. Wir Sudanesen sind nicht gerade bekannt für unser vollkommenes Gebiss.
    Als ich aufblicke, sehe ich, dass die Frau und Puder meinen Rucksack haben, in dem sich doch lediglich meine Hausaufgaben für das Georgia Perimeter College befinden. Die Vorstellung, wie viel Zeit es kosten wird, diesen Verlust wieder gutzumachen, noch dazu so kurz vor den Halbjahresklausuren, bringt mich fast wieder auf die Beine. Ich starre meine Besucher mit so viel Hass an, wie ich aufbringen kann, wie mein Gott es mir erlaubt.
    Ich bin ein Idiot. Warum habe ich die Tür geöffnet? Ich habe eine afroamerikanische Freundin hier in Atlanta, Mary, eine gute Freundin, die über all das lachen wird. Es ist keine Woche her, da saß sie in diesem Zimmer hier auf der Couch, und wir sahen uns zusammen mit Achor Achor Der Exorzist an. Achor Achor und ich hatten den Film schon immer mal sehen wollen. Wir interessieren uns für die Idee des Teufels, zugegeben, und die Vorstellung eines Exorzismus hatte uns fasziniert. Obwohl wir uns in unserem Glauben stark fühlten und eine gründliche katholische Erziehung erhalten hatten, war uns noch nie zu Ohren gekommen, dass ein katholischer Priester eine Teufelaustreibung vorgenommen hatte. Also schauten wir uns den Film an, und er machte uns beiden Angst. Achor Achor hielt nur die ersten zwanzig Minuten aus. Dann ging er in sein Zimmer, schloss die Tür, schaltete die Stereoanlage an und machte Mathematik-Hausaufgaben. In einer Szene des Films klopft es unheilschwanger an der Tür, und da kam mir eine Frage. Ich hielt den Film an, und Mary seufzte resigniert. Sie ist daran gewöhnt, dass ich im Gehen oder beim Autofahren unvermittelt stehen bleibe, um etwas zu fragen – Warum betteln die Leute auf dem Mittelstreifen des Highway? Sind die Büroräume in den Gebäuden da wirklich alle belegt? – und in dem Moment fragte ich Mary, wer in Amerika an die Tür geht, wenn es klopft.
    »Wie meinst du das?«, fragte sie.
    »Ich meine, geht der Mann oder die Frau?«, fragte ich.
    Sie lachte spöttisch. »Der Mann«, sagte sie. »Der Mann. Der Mann ist ja schließlich der Beschützer, oder?«, sagte sie. »Natürlich geht der Mann an die Tür. Wieso?«
    »Im Sudan«, sagte ich, »kann der Mann das nicht machen. Es geht immer die Frau an die Tür, wenn es nämlich an der Tür klopft, will jemand den Mann holen.«
    Ha, ich habe noch einen angeknacksten Zahn entdeckt. Meine Freunde stehen noch immer am Fenster, lugen dann und wann durch den Vorhang, um festzustellen, dass der Cop noch immer da ist, woraufhin sie eine Weile fluchen, ehe sie mit hängenden Schultern weiter warten.
    Eine Stunde vergeht, und jetzt würde ich auch gern wissen, was der Cop so lange auf dem Parkplatz zu suchen hat. Ich beginne, mir Hoffnungen zu machen, dass er doch von dem Überfall weiß, eine gefährliche Konfrontation vermeiden will und deshalb einfach abwartet, bis meine Freunde herauskommen. Aber warum macht er seine Anwesenheit dann so offenkundig? Ist der Officer vielleicht hier in der Wohnanlage, um die Drogendealer aus C4 zu vernehmen? Aber die Männer in Apartment C4 sind Weiße, und soweit ich das mitbekommen habe, spricht der Officer mit Edgardo, der in C13 wohnt, acht Türen von meiner entfernt. Edgardo ist Mechaniker und mein Freund. Seiner Schätzung nach hat er mir in den zwei Jahren, die wir jetzt Nachbarn sind, 2 200 Dollar an Autoreparaturen erspart. Dafür kutschiere ich ihn regelmäßig zur Kirche, zur Arbeit, zur North DeKalb Mall. Er hat ein eigenes Auto, aber damit fährt er nicht. In den letzten sechs Monaten habe ich nicht
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