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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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Chicago?
    – Ich. Ich bin der Bulle.
    Es ist schwer zu erklären, was daran so lustig war, aber damals war es das. Der andere Lieblingswitz in jener Nacht betraf San Jose. Drei Jungen in unserem Zimmer sollten dorthin, aber keiner konnte den Namen der Stadt aussprechen.
    – Wir kommen nach Saint Joe’s!, sagten sie.
    – Ja, San Joe’s wird eure neue Heimat.
    Am nächsten Tag waren wir endlich unterwegs zum Flughafen, um das richtige Flugzeug zu besteigen, das uns nach Amsterdam und dann nach New York bringen würde. Von New York aus würden wir in zwölf verschiedene Städte geschickt werden: Seattle, Atlanta, Omaha, Fargo, Jacksonville, so viele Namen.
    Kaum saßen wir im Bus, überkam uns endlich die Müdigkeit. Es war Dienstag, wir waren seit sechsunddreißig Stunden in Goal, und keiner von uns hatte mehr als ein paar Minuten geschlafen. Jetzt waren wir auf dem Weg zum Flughafen, jeder von uns in einem T-Shirt der International Organization of Migration, und an jedem Fenster des Busses ruhten sich schwere Köpfe aus. Ein Schlagloch genau vor der Einfahrt nach Kinyatta weckte alle auf, wieder brach Heiterkeit aus. Ich versuchte, ruhig und leise zu bleiben, weil mein Kopf so schwer war, der Schmerz so akut, dass ich mich fragte, ob ich nicht ernsthaft krank war. Ich erwog kurz, den Kenianer anzusprechen, der uns im Bus begleitete, ihn um irgendeine Arznei zu bitten, entschied mich aber dann dagegen. Es war unklug, in solchen Situationen wie auch immer aufzufallen. Gib ein Geräusch von dir, und du wirst aller Möglichkeiten beraubt. Beschwere dich, und du stehst mit leeren Händen da.
    An jenem Tag waren Tausende am Flughafen, eine verwirrende Mischung von Kenianern, hellhäutigeren Schwarzen und hundert oder mehr Weißen, die meisten mit üblen rosa Sonnenbränden. Wir sahen eine Gruppe Weißer, etwa fünfzig – mehr Weiße, als wir je auf einmal gesehen hatten –, die bei ihrem teuren Gepäck standen und alle nach ihren Pässen kramten. Ich wollte sie ansprechen, mein Englisch üben, ihnen sagen, dass ich bald Teil ihrer Welt sein würde. Ich hatte keine Ahnung, woher sie kamen, aber ich war völlig von der Idee besessen, dass ich eine Welt zurückließ und eine andere betrat, dass die amerikanische Welt eine weiße war, nur von Weißen bevölkert, und dass selbst diese Menschen in Nairobi dazugehörten.
    Wir warteten vor dem Gate, bemüht, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Wir hatten alle Angst, dass wir direkt ins Lager zurückgebracht werden würden, falls wir der Polizei oder der Flughafenaufsicht auffielen. Deshalb entfernte sich keiner von seinem Platz. Keiner ging zur Toilette. Wir warteten eine Stunde, die Hände im Schoß, und dann war es so weit. Wir stiegen in ein Flugzeug, das fünfmal so groß war wie das, mit dem wir nach Nairobi gekommen waren, und in jeder Hinsicht luxuriöser. Wir legten unsere Sicherheitsgurte an. Wir warteten. Der Schmerz in meinem Kopf wuchs mit jeder Minute.
    Wir saßen da, bis alle Passagiere an Bord waren, und dann noch weitere dreißig Minuten. Wir waren alle in der Mitte des Flugzeugs untergebracht, und wir verhielten uns ganz still. Eine Stunde verging. Wir sagten nichts, weil wir keine Ahnung hatten, wie lange es dauerte, bis ein Flugzeug nach Amsterdam und New York abhob. Doch die anderen Leute an Bord, Weiße und Kenianer hatten angefangen, Fragen zu stellen, und über die Bordlautsprecher kamen etliche beschwichtigende Durchsagen.
    – Wir warten auf die Freigabe vom Tower. – Wir sind startklar und warten auf Anweisung. – Wir bitten um Verständnis. Danke für Ihre Geduld. Bitte bleiben Sie angeschnallt auf Ihrem Platz.
    Weitere dreißig Minuten vergingen. Wieder ertönte eine Ansage aus den Bordlautsprechern.
    – In New York hat es einen Zwischenfall gegeben. Die Stadt kann nicht angeflogen werden.
    Einige Minuten Stille.
    – Bitte verlassen Sie die Maschine ruhig und geordnet. Im Augenblick verlässt keine Maschine Nairobi. Begeben Sie sich zurück an Ihr Gate und warteten Sie dort auf weitere Informationen.
    Unser Bus kam als zweiter am Hotel an, und in der Lobby drängten sich Hunderte von Menschen um den Fernseher, Sudanesen ebenso wie das kenianische Hotelpersonal, selbst die Köche und die Hausmeister, sie sahen die Türme wie Kamine lodern und dann einstürzen. Dann Bilder vom Pentagon. Keiner von uns Sudanesen hatte die Gebäude, die da angegriffen worden waren, je zuvor gesehen, aber wir begriffen, dass die Vereinigten Staaten sich im Krieg
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