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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Autoren: Dave Eggers
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sagte einer der Jungen.
    – Der ist abgelehnt worden. Sie haben rausgefunden, dass er Soldat war.
    Die Jungen unterhielten sich eine Weile leise darüber, und wir verglichen die Lügen, die wir erzählt hatten. Viele hatten behauptet, ihre Eltern seien tot, dabei wussten nur wenige mit Sicherheit, ob das stimmte oder nicht. Als wir eine Stunde lang im Schatten gesessen hatten, kam ein Flugzeug über die Hügel, das sehr klein und sehr zerbrechlich aussah.
    – Ist das die Maschine?, fragte jemand.
    – Nein, sagte ich.
    In dem Moment, als das Flugzeug, nachdem es einen letzten Kreis beschrieben hatte, landete, war ich mir ganz sicher, dass diese Maschine mich in den Tod fliegen würde.
    Wir bestiegen das Flugzeug, das von einem Franzosen geflogen wurde, der nicht größer als ein Mädchen im Teenageralter war. Wir waren sechsundvierzig an Bord, und alle hatten mehr oder weniger den Weg hinter sich, den auch ich gegangen war. Ich kannte keinen von ihnen gut. Meine Freunde waren längst fort. Sobald die Motoren ansprangen, übergab sich ein Junge auf meine Schuhe. Als der Junge vor mir das Erbrochene roch, spie er sein Frühstück auf den Sitz neben ihm. Und als das Flugzeug mit einem Satz anrollte, übergaben sich drei weitere Jungen, von denen nur zwei rechtzeitig die Spuckbeutel fanden. Vom Würgen abgesehen gab niemand einen Laut von sich. Wer aus dem Fenster schauen konnte, war fassungslos.
    – Was ist das da? Eine Brücke?
    – Nein, das ist ein Haus!
    Im Flugzeuginneren war es dermaßen hell, dass wir die Rollos runterziehen mussten, um unsere Augen zu schonen.
    Das Flugzeug landete am späten Sonntagabend. Keiner von uns war je am Kinyatta International Airport gewesen, und wir waren alle überwältigt. Allein die Größe. Er war viel größer als der Flugplatz in Kakuma, größer als jede Siedlung, die wir je gesehen hatten, er schien kein Ende zu haben.
    Als der Abend hereinbrach, warteten wir am Flughafen auf einen Bus, der uns nach Nairobi, genauer gesagt nach Goal bringen sollte, einem Durchgangslager für Flüchtlinge, das von der International Organization of Migration geführt wurde. Dort würden wir bis zum nächsten Tag auf unseren Flug nach Amsterdam und weiter warten.
    In der Dunkelheit, die um den Flughafen herum herrschte, war es für junge Männer wie uns unmöglich zu erkennen, was wir da eigentlich sahen. Was waren das für Lichter? Waren sie körperlos oder an Gebäuden befestigt? Weil es kaum Elektrizität gibt, liegt Kakuma nachts fast völlig im Dunkeln. Aber in Kinyatta waren alle noch wach. Niemand schlief.
    – Und die Autos!
    In ganz Kakuma waren immer nur sehr wenige unterwegs.
    – Mann, ist das groß hier!, sagte einer der Männer.
    Alle lachten, weil er uns damit aus dem Herzen sprach. Während wir vom Flughafen nach Nairobi fuhren, wuchs unsere Ehrfurcht. Außer mir war noch keiner von ihnen in einer Großstadt gewesen.
    – Diese Häuser!, sagte ein Junge. – Da geh ich lieber nicht so nah ran.
    Keiner der anderen hatte je Gebäude mit mehr als drei Stockwerken gesehen, und sie konnten sich nicht vorstellen, dass Häuser, die Schatten über die Straße warfen, stehen bleiben würden.
    In Goal angekommen, bekamen wir unsere Reiseunterlagen und konnten uns an einem Büfett mit Bohnen, Mais und Marague bedienen, einer Mischung aus Getreide, Bohnen und Kohl. Dann zeigte man uns unsere Zimmer, jeweils eins für sechs Jungen, die in drei Etagenbetten schliefen.
    – Ooh, seht euch das an!
    Die meisten Jungen hatten noch nie in sauberer, weißer Bettwäsche geschlafen. Ein Junge namens Charles warf sich aufs Bett und machte Schwimmbewegungen. Die anderen taten es ihm gleich, und ich selbst machte auch mit. Wir schwammen auf weißen Laken und lachten, bis uns alles wehtat.
    Ich schlief unruhig in jener Nacht und lauschte meinen Zimmergenossen, die ununterbrochen redeten.
    – Wo kommst du noch mal hin?
    – Chicago.
    – Ach ja, Chicago. Die Bulls!
    Und schon lachten wir alle wieder.
    – Ist es kalt in San Jose?
    – Nein, nein. Ich glaube, da ist es warm.
    – Pech für dich, Chicago!
    Erneut lachten wir.
    Am Morgen, es war ein klarer, feuchter Montag, gab es Frühstück und danach nichts mehr zu tun. Keiner durfte das Hotel verlassen. Es war eingezäunt und wurde von kenianischen Soldaten bewacht. Wir wussten nicht, wieso.
    Auch in der zweiten Nacht schliefen wir kaum. Das Zimmer war dunkel, aber es wurden Witze erzählt und dieselben Fragen gestellt.
    – Wer kommt noch mal nach
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