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Weißglut

Weißglut

Titel: Weißglut
Autoren: Sandra Brown
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Klimaanlage zu unterstützen. Sie rutschte in die letzte Bank, während vorn der Chor die letzten Akkorde des Eröffnungsliedes sang und der Pastor an den Altar trat.
    Während alle anderen den Kopf zum Gebet senkten, schaute Sayre auf den Sarg vor dem Altargeländer. Es war ein schlichter, versiegelter silberner Sarg. Das war gut so. Sie hätte es wohl nicht ertragen, Danny zum letzten Mal wie eine Wachspuppe in einem mit Satin ausgeschlagenen Sarg liegen zu sehen. Um nicht länger darüber zu sinnieren, konzentrierte sie sich auf das elegante, klare Arrangement von weißen Callas, das auf dem Sargdeckel lag.
    Sie konnte weder Huff noch Chris in der Menge ausmachen, aber sie nahm an, dass beide in der ersten Bank saßen und angemessen trauernd dreinblickten. Bei der ganzen Heuchelei wurde ihr übel.
    Sie wurde unter den noch lebenden Familienmitgliedern genannt. »Eine Schwester, Sayre Hoyle aus San Francisco«, dröhnte der Prediger.
    Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte durch die Kirche gerufen, dass sie nicht mehr Hoyle hieß. Seit ihrer zweiten Scheidung verwendete sie ihren zweiten Vornamen, der zugleich der Mädchenname ihrer Mutter gewesen war. Irgendwann hatte sie ihren Namen offiziell in »Lynch« ändern lassen. Dieser Name stand auf ihrem College-Diplom, ihrer Geschäftspost, ihrem kalifornischen Führerschein und in ihrem Pass.
    Sie war keine Hoyle mehr, aber sie zweifelte keine Sekunde daran, dass der Informant des Predigers absichtlich den falschen Nachnamen angegeben hatte.
    Die Trauerrede stammte aus einem kirchlichen Predigtenbuch und wurde von einem Priester mit glänzendem Gesicht verlesen, der kaum volljährig wirkte. Seine Belehrungen waren an die Menschheit im Allgemeinen gerichtet. Danny als Individuum wurde kaum erwähnt, es gab kaum ein ergreifendes oder persönliches Wort, was umso trauriger war, als seine eigene Schwester sich geweigert hatte, mit ihm zu telefonieren.
    Als der Gottesdienst unter dem Absingen von »Amazing Grace« schloss, war in der Trauergemeinde vereinzeltes Schniefen zu hören. Getragen wurde der Sarg von Chris, einem blonden, ihr unbekannten Mann und vier weiteren Männern, in denen sie leitende Angestellte von Hoyles Enterprises erkannte. Sie trugen den Sarg durch die Mittelreihe der Kirche nach draußen.
    Weihevoll zog die Prozession an ihr vorbei, was ihr Gelegenheit gab, ihren Bruder Chris zu studieren. Er war genauso proper und gut aussehend wie damals und hatte immer noch die leicht verweichlichte Ausstrahlung eines Kinostars aus den dreißiger Jahren. Nur ein Menjou-Bärtchen fehlte ihm noch. Seine Haare waren immer noch schwarz wie Rabenschwingen, doch er trug sie kürzer als früher. Vorn hatte er sie mit Gel aufgestellt, ein eher hippes Styling für einen Mann von Ende dreißig, aber der Stil entsprach Chris. Seine Augen waren irritierend, weil die Pupillen in der dunklen Iris nicht zu erkennen waren.
    Huff folgte dem Sarg als Erster. Selbst bei diesem Anlass umgab ihn eine Aura der Überheblichkeit. Er hatte die Schultern zurückgezogen und trug den Kopf hoch erhoben. Jeder Schritt war fest gesetzt, als wäre er ein Eroberer und besäße ein unveräußerliches Anrecht auf den Grund und Boden unter seinen Füßen.
    Seine Lippen waren zu dem harten, dünnen, entschlossenen Strich zusammengeschmolzen, an den sie sich so gut erinnerte. Seine Augen glitzerten wie die schwarzen Knopfaugen eines Stofftiers. Sie waren trocken und klar; er hatte nicht um Danny geweint. Seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war sein ehemals grau meliertes Haar zu einem strahlenden Weiß ausgebleicht, aber er trug es immer noch militärisch-präzise kurz. Um die Taille hatte er ein paar Pfund zugelegt, aber er wirkte so unerschütterlich wie damals.
    Zum Glück wurde sie weder von Chris noch von Huff bemerkt.
    Um der Menge und der Gefahr, erkannt zu werden, zu entgehen, schlich sie durch eine Seitentür ins Freie. Ihr Auto war das letzte in der Prozession zum Friedhof. Sie parkte in gebührendem Abstand zu dem Zelt, das über dem frisch ausgehobenen Grab errichtet worden war.
    In düsteren Gruppen oder allein erstiegen die Menschen die kleine Anhöhe, wo die Grabandacht abgehalten würde. Die meisten Trauernden hatten ihren Sonntagsstaat angelegt, obwohl die Achseln schon von Schweißringen gezeichnet und die Hutbänder mit feuchten Flecken gesprenkelt waren. Die Füße klemmten in Schuhen, die wegen des seltenen Tragens viel zu eng waren.
    Viele dieser Menschen kannte
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