Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Weißes Leuchten (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
Vom Netzwerk:
bißchen zu hart.«
    Lyle grinste durch die Fliegentür, als er mich kommen sah. Er hatte dieselbe dunkle Cajunhaut wie die anderen Sonniers, aber Lyle war immer der Dünne gewesen, mit schmalen Schultern und Hüften, der geborene Langstreckenläufer oder Billardhai und unterm Strich einer der furchtlosesten Soldaten, mit denen ich in Vietnam gekämpft hatte. Nur daß Vietnam und die kleinen Männer mit ihrer pyjamaartigen Kleidung, die sich in Erdlöchern und kleinen Höhlen versteckten, fünfundzwanzig Jahre zurücklagen.
    »Wie steht’s, Lieutenant?« sagte er.
    »Wie geht es dir, Lyle?« sagte ich und schüttelte draußen auf der Veranda seine verstümmelte Hand. Sie war leicht und dünn und fühlte sich in meinem Griff irgendwie unnatürlich an. »Ich muß noch die Kaninchen und das Pferd meiner Tochter füttern, bevor ich wieder zur Arbeit gehe. Macht es dir was aus, mich zu begleiten? Wir können uns dabei unterhalten.«
    »Kein Problem. Bootsie ist nicht da?« Er warf einen Blick zur Fliegentür. Seine rechte Gesichtshälfte war gesprenkelt von Schrapnellnarben, die wie eine Kette aus fleischfarbenen Plastiktränen aussahen.
    »Sie kommt gleich raus. Worum geht’s, Lyle?« Ich ging zu den Kaninchenställen unter den Bäumen, damit er mir folgen mußte.
    Eine ganze Zeit lang sagte er gar nichts. Statt dessen stand er im Schatten und kämmte seine pomadisierte braune Tolle und blickte hinaus zu meinem Bootssteg und dem Zypressenstumpf auf der anderen Seite des Bayous. Dann steckte er den Kamm in die Hemdtasche.
    »Du magst mich nicht, stimmt’s?« sagte er.
    Ich öffnete die Maschendrahttür eines Kaninchenstalls und machte mich daran, den Futternapf mit Luzerne-Kügelchen zu füllen.
    »Vielleicht mag ich nur nicht, was du so tust, Lyle«, sagte ich.
    »Ich entschuldige mich nicht dafür.«
    »Das hab’ ich auch gar nicht von dir verlangt.«
    »Ich habe die Gabe, Menschen zu heilen, mein Sohn.«
    Ich sah auf die Uhr, öffnete den nächsten Verschlag und gab ihm keine Antwort.
    »Das ist keine Prahlerei«, sagte er. »Es ist eine Gabe. Ich habe nichts dafür getan. Aber diese Kraft, die kommt durch meine Schulter, durch meinen Arm, direkt durch diese verkrüppelte Hand, und von da geht sie weiter in ihre Körper. Ich kann sie fühlen, diese Kraft. Sie wächst in meinem Arm, gerade so, wie wenn ich einen Eimer Wasser am Henkel hielte, und dann ist sie wieder weg, übergegangen von mir auf andere Menschen, und mein Arm ist auf einmal so leicht, als ob gar nichts im Ärmel steckte. Das magst du jetzt glauben oder nicht, mein Sohn. Aber es ist Gottes Wahrheit. Und ich sag’ dir noch was. Du hast da im Haus eine kranke Frau.«
    Ich stellte die Tüte mit den Luzernesprossen ab, legte den Riegel am Verschlag vor und drehte mich zu ihm, so daß ich ihm voll ins Gesicht sah.
    »Zwei Dinge, Lyle. Nenn mich nicht noch mal ›mein Sohn‹ und tu nicht so, als wüßtest du irgendwas über die Probleme in unserer Familie.«
    Er kratzte den Rücken der verkrüppelten Hand und blickte hoch zum Haus. Dann saugte er versonnen an seinen Backenzähnen und sagte: »Sollte keine Beleidigung sein. Das lag nicht in meiner Absicht. O nein, Sir.«
    »Und womit kann ich dir heute helfen?«
    »Du bringst das durcheinander. Es ist genau andersherum. Du bist draußen bei Weldon gewesen, aber der hat kein Wort über die Lippen gebracht, stimmt’s?«
    »Was ist mit Weldon?«
    »Jemand hat auf ihn geschossen. Nachdem Bama die Polizei benachrichtigt hatte, hat sie mich angerufen. Dave, Weldon wird dir nicht helfen. Das kann er nicht. Er hat Angst.«
    »Angst wovor?«
    »Wovor die meisten Menschen Angst haben, wenn sie Angst haben — der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.«
    »Weldon macht auf mich nicht den Eindruck, als lasse er sich so leicht ins Bockshorn jagen.«
    »Du hast unseren alten Herrn nicht gekannt.«
    »Was meinst du damit, Lyle?«
    »Der Mann mit dem verbrannten Gesicht, den Bama durchs Fenster gesehen hat. Ich hab’ ihn nämlich auch gesehen. Bei der Sendung letzten Sonntag saß er in der dritten Reihe. Ich hätte fast das Kabel vom Mikrofon gerissen, als ich ihn genauer ansah und das Gesicht unter all den Narben erkannte. Es war so, wie wenn man das Negativ eines Fotos ins Licht hält, bis man das Bild sieht, was in den Schatten verborgen ist, wenn du verstehst, was ich meine? Am Ende meiner Predigt troff mir der Schweiß nur so vom Gesicht. Grad so, als hätte der alte Hurensohn den Arm ausgestreckt und mir einen Finger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher