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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander
Autoren: Janet Fitch
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um Paul zu finden; alle meine Kartons und Erinnerungsstücke, alles, bis auf die vier Bücher meiner Mutter und den Schmuck, den ich bekommen hatte, den Aquamarinring, den Amethystanhänger und die gestohlene Halskette, sowie achthundert Dollar Bargeld. Bevor ich wegging, steckte mir Sergej den Namen eines russischen Hehlers in Brighton Beach zu, Iwan Iwanov, der mir helfen würde, meinen Schmuck in Bares umzuwandeln. »Er nicht spricht viel Englisch, aber gibt dir gute Preis.« Der Phönix muss verbrennen, um aufzusteigen , dachte ich, während ich mit einem Bus quer über den Kontinent fuhr, als einzigen Anhaltspunkt die Adresse eines Comic-Buchladens auf dem St. Marks Place.
    Doch jetzt hatte ich es wieder um mich versammelt, mein Museum. Dort, an der Wand in dieser kalten nördlichen Stadt, hatte ich mein Leben wiedererschaffen.
    Hier war Rena, ein brauner Lederkoffer mit grün geripptem Samt ausgekleidet. Er enthielt eine nackte Wachsfigur mit ausgebreiteten Armen, die einen weißen Katzenkopf aus Kaninchenfell hatte. Der Deckel des Koffers war mit Puppenmöbeln und aufgefächerten falschen Dollarnoten ausstaffiert. Niki war ein amerikanischer Hartschalenkoffer, magentarot lackiert, mit Metallic-Effekten wie ein Schlagzeug. Innen baumelten Knackwürste aus Kondomen, die ich mit Schaumgummi ausgestopft hatte. Für Yvonne hatte ich einen Kinderkoffer gefunden und ihn mit pastellfarbenem Frotteestoff überzogen. Quer durch den Koffer war Gitarrendraht gespannt, und dazwischen hingen kleine Babypuppen. Ich suchte noch nach einer passenden Spieluhr, die »Michelle« spielte, wenn man den Deckel öffnete.
    Marvels Koffer war türkis; wenn man ihn öffnete, sah man den weißen Kies, den ich auf den Boden geklebt hatte, und eine batteriebetriebene Taschenlampe blinkte SOS im Morsecode. Einer unserer Freunde von der Kunsthochschule hatte mir geholfen, den Koffer zu verkabeln. Weibliche Spielzeugsoldaten – Gratisgeschenke, die bei der Premiere eines amerikanischen Films verteilt worden waren – krochen mit ihren AK -47-Gewehren in der Mondlandschaft herum. Ich hatte kleine Hakenkreuze auf ihre Arme gemalt. Im Deckel des Koffers befand sich ein kleiner Fernsehschirm, aus dem eine Miss America strahlte. Ich hatte ihr Gesicht aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, aufgeklebt und überlackiert und ihr Tränen aus durchsichtigem Nagellack aufgetüpfelt.
    Starr und Ray teilten sich einen Kunststoffkoffer mit rissigen Lederschnallen, hellbraun mit einem verblichenen Karomuster. Wenn man ihn aufspringen ließ, setzte er einen berauschenden Duft nach frischem Holz und Obsession frei. Vor grellen Op-Art-Jerseystoff hatte ich kreuzweise Streifen eines Holzfällerhemds geklebt. Im Deckel entfaltete sich eine ziemlich vaginal anmutende Satinrose in Abschlussballrosa unter einer beleuchteten Jesusfigur. Die Ecken waren mit pudelgelockten Hobelspänen eines hiesigen Schreiners beklebt. An der Rückwand hing ein kleiner Reliquienschrein, gefüllt mit Bleisplittern. Man konnte in Europa keine Kugeln bekommen, ich hatte mich anders behelfen müssen. In einem Glasterrarium im Unterteil des Koffers kroch eine Schlange über gelben Sand, Glasscherben und eine halb vergrabene Nickelbrille.
    Wie Berlin war auch ich von Schuld und Zerstörung durchsetzt. Ich hatte Leid verursacht, ebenso wie ich gelitten hatte. Ich konnte nie aufrichtig mit einem anklagenden Finger auf jemanden zeigen, ohne dass er auf halbem Wege zu mir zurückwies.
    Olivia Johnstone war eine Hutschachtel, bezogen mit grünem Kroko-Kunststoff, die den Duft von Ma Griffe verströmte, wenn man sie öffnete. Dagmar, die Parfumverkäuferin bei Wertheim, hatte mir erlaubt, Wattebäusche mit Duftproben zu tränken, die ich dann in leeren Filmdosen nach Hause transportierte. Im Koffer hatte ich ein Nest aus rauchgrauen und schwarzen Seidenstrümpfen gebastelt; es umgab eine Karnevalsmaske aus schwarzen Federn und einen Plastikbecher, der den weißen Ozean enthielt. Auf seiner Oberfläche trieb ein Ring aus dem Kaugummiautomaten.
    Alle waren sie da. Amelia Ramos war eine Lunchbox, die ich mit Postkarten vom Trödelmarkt – alte Aufnahmen von Aristokraten des Fin de siècle – überzogen hatte. In der Box bohrten sich antike Gabeln durch ein Gewirr aus schwarzem Perückenhaar mit weißen Strähnen. Die nach oben ragenden Gabeln sahen aus wie emporgestreckte, bettelnde Hände.
    Und Claire. Ich hatte ihr Denkmal in einem Reisekoffer aus den Dreißigern errichtet, weißes Leder mit
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