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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde
Autoren: Jaclyn Reding
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Westover-Erbin zu sein.
    Eleanor war drauf und dran, die Frau des Wirtes zu fragen, wo das Postschiff, das entlang der Küste nach Norden fuhr, ablegte, als sie zufällig eine Anzeige entdeckte, die schief an der Wand hing.
    GOUVERNANTE FÜR EIN ACHTJÄHRIGES MÄDCHEN VON VORNEHMER GEBURT GESUCHT. NÄHERE AUSKÜNFTE BEI DUNEVIN, INSEL TRELAY.
    Sie las den Text noch ein Mal - und auch noch ein drittes Mal.
    Was folgte, war eine dieser Gelegenheiten, die sich einem Menschen nur einmal, vielleicht zweimal im Leben boten. Manche nennen es einen Scheideweg, andere den entscheidenden Moment. Was immer es auch sein mochte, Eleanor wusste, dass sich ihr plötzlich eine Alternative aufgetan hatte. Sie könnte das Postschiff nach Norden besteigen und dorthin zurückkehren, woher sie gekommen war. Sie wusste, was sie dort er-wartete. Sie würde ihr weiteres Leben auf einer Lüge aufbauen und jeden Tag von neuem die Wahrheit ihrer unehelichen Geburt verschleiern, während sie gleichzeitig das Mitleid in den Augen der wenigen Eingeweihten sehen würde.
    Sie konnte aber auch den anderen Weg einschlagen, den unbekannten, unsicheren und vielleicht sogar Angst einflößenden, aber damit begab sie sich möglicherweise auf eine Reise zur Wahrheit...
    ... zu der Wahrheit, wer Lady Eleanor Wycliffe wirklich war.

Kapitel eins
    Is minig a bha ’n Donas daicheil.
    Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann. William Shakespeare (König Lear, 3. Aufzug, 4. Szene)
    Trelay, eine Insel der schottischen Hebriden
    Er hörte den Diener schon eine ganze Minute, bevor dieser sich keuchend und ächzend den steilen Hang ganz heraufgeschleppt hatte. Das Schloss war eine knappe Viertelmeile entfernt.
    »Da ist Besuch, Laird.« Der Mann verstummte und beugte sich vor, um wieder zu Atem zu kommen. »Ein Gast ist ins Schloss gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.«
    Gabriel MacFeagh, Viscount Dunevin, zuckte kaum mit der Wimper, als der Mann vor ihn trat. Er kniete vor einem blutigen Haufen Federn, der einst eine plumpe Pfauhenne gewesen war und jetzt halb versteckt im Heidegestrüpp lag.
    »Der Winter naht«, sagte er mehr zu sich selbst als zu dem Mann an seiner Seite. »Die Tiere auf der Insel sind auf der Jagd, um sich die Nahrung zu verschaffen, die sie durch die eisigen Monate bringt.«
    Die kleinen Bissspuren und der noch in der Luft hängende moschusartige Geruch verrieten, dass der Jäger ein Iltis gewesen war, ein wieselarti-
    ger Räuber, den man an der dunklen, maskenhaften Fellzeichnung im Gesicht erkannte. Diese nächtlichen Diebe waren eine Plage, die sogar kleine Lämmer und andere Säugetiere rissen. So wie die Pfauhenne aussah - oder besser das, was von ihr übrig geblieben war-, würde dieser Iltis bald zurückkommen.
    Gabriel richtete sich zu seinen vollen einfünfundachtzig auf, schüttelte den dunklen Kopf, als er den Kadaver in einen Sack steckte, um den Köder zu beseitigen, der andere Raubtiere in die Nähe des Schlosses locken würde.
    »Sieht so aus, als ob dieser Iltis letzte Nacht wieder auf die Hennen losgegangen wäre, Fergus. Das ist die zweite, die wir in dieser Woche verloren haben. Sag lieber MacNeill Bescheid, dass wir ein paar Fallen aufstellen müssen.«
    Der kleine Fergus Maclan war der persönliche Kammerdiener des Viscounts, seit der vor etwas mehr als zehn Jahren zum Laird geworden war. Davor war er Diener von Gabriels Bruder und Vater gewesen und hatte fast sein ganzes Leben auf dieser abgeschiedenen Insel verbracht. Jetzt stand er in seinem Tartananzug, kratzte sich den grauen Kopf unter der Kilmarnock-Haube und nickte zustimmend.
    »Ja, am besten, wir kümmern uns schnell darum, Laird. Das letzte Mal hat das Biest vier Küken geholt und wir konnten’s nicht fangen, dieses kleine Mistvieh.«
    Gabriel drehte sich um. Der Saum seines Kilts berührte kaum die kniehohen Ginster- und Heidekrautbüsche, die den schattigen Abhang be-deckten. Er pfiff Cudu, seinen schwarzen schottischen Jagdhund, der seine Schnauze in verschiedene Kaninchenbaue steckte, weil auch er jagen wollte.
    »Thig a-nall an seo«, rief ihn Gabriel auf Gälisch, denn das war die Sprache, die der Hund am besten verstand. Cudu hob den schmalen Kopf und trottete bergauf, um zu seinem Herrn zu kommen.
    Gabriel entdeckte einen Eisvogel in der Ferne, der anmutig über das dunkle Wasser des aufgewühlten Atlantik nach Westen schwebte. Die grauen Flügel des Vogels hoben sich als Silhouette vor der untergehenden Sonne ab, die zu dieser Jahreszeit nur wenig
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