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Weiße Nebel der Begierde

Titel: Weiße Nebel der Begierde
Autoren: Jaclyn Reding
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besten Instituten für höhere Töchter in England unterrichtet. Ich habe buchstäblich Hunderte Tassen Tee eingeschenkt, zahllose Dinner-Menus arrangiert, und obwohl es jetzt nicht so aussieht«, fuhr sie mit einem Blick auf ihr von der Reise in Mitleidenschaft gezogenes Kleid fort, »ich weiß sehr genau, wie man sich kleidet. Ich kann die Allemande, die Quadrille, Walzer und ein Dutzend andere Tänze tanzen. Ich beherrsche eine ganze Reihe von ordentlichen, gleichmäßigen Stickstichen. Ich kann rechnen. Ich bin ausgesprochen musikalisch. Ich kann Gedichte aufsagen und Philosophen zitieren. Ich wage zu behaupten, dass Sie in Ihrem ganzen Leben keine geeignetere Gouvernante finden würden als mich.« Sie holte tief Luft. »Ich sehe die Sache so: Sie können Ihrer Tochter entweder erlauben, ein weiteres Jahr ohne Unterricht zuzubringen, oder Sie geben mir eine Chance. Um mehr bitte ich nicht - ich möchte lediglich die Gelegenheit haben, Ihnen zu zeigen, dass ich in der Lage bin, ihrer Tochter all die Dinge beizubringen, die sie beherrschen muss, um in der Gesellschaft aufgenommen zu werden. Ich nehme an, das hoffen Sie zu erreichen, habe ich Recht?«
    Der Viscount starrte sie mit steinernem Gesicht an.
    Eleanor hielt seinem Blick stand und rechnete damit, dass er sie wegschicken würde, sobald er den Mund aufmachte. Sie hatte keine Ahnung, was sie dann machen, wohin sie sich wenden sollte. Eines war auf alle Fälle sicher: Wenn er sie aus dem Haus jagte, müsste sie zum Festland zurückschwimmen. Sie besaß keinen Penny mehr.
    Erstaunlicherweise warf er sie nicht hinaus, jedenfalls nicht sofort. Stattdessen erhob er sich und ging mit auf dem Rücken verschränkten Händen zum Fenster. Eleanor fiel auf, dass sich seine Haare über dem Kragen lockten. Er sagte ein paar Minuten lang kein Wort und beobachtete seine Tochter wie Eleanor ein paar Minuten zuvor.
    Eleanor konnte von ihrem Stuhl aus sehen, dass sich das Kind seit vorhin nicht von der Stelle gerührt hatte, obwohl es mittlerweile leicht regnete. Wieder verging eine Weile. Der Regen wurde heftiger, der Wind frischte auf. Das Kind saß immer noch auf dem Felsen und der Viscount stand am Fenster.
    Schließlich war Eleanor so weit, selbst hinauszulaufen und das Mädchen zu holen, aber dann sah sie, wie eine Dienerin auf den Felsen zuging. Sie legte der Kleinen einen Umhang um die Schultern, dann zog sie sie auf die Füße und brachte sie in den Schutz der Schlossmauern.
    Der Viscount rührte sich immer noch nicht vom Fleck.
    »Wie heißt Ihre Tochter?«, fragte Eleanor leise, weil sie das Schweigen nicht länger ertragen konnte.
    »Juliana.«
    Dunevin drehte sich um - sein Gesicht war so umwölkt wie der Himmel draußen. »Sie spricht nicht.«
    Eleanor nickte. »Ich weiß.«
    Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Die Leute haben ihnen bereits alle möglichen Schauergeschichten erzählt, wie ich sehe - bestimmt haben sie nichts ausgelassen und alles in glühenden Farben geschildert. Wahrscheinlich haben sie jede Anstrengung unternommen, um Sie von der Überfahrt hierher abzuhalten -«, er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Und trotz ihrer Warnungen möchten Sie die Stelle als Gouvernante haben. Warum?«
    »Phantasiegeschichten über das Unglück anderer interessieren mich nicht, Mylord. Ich war immer schon der Ansicht, dass Klatsch und Tratsch nichts als das Werk d...« Eleanor hielt inne und hoffte inständig, dass er nicht erriet, was sie sagen wollte.
    »... als das Werk des Teufels sind«, beendete er für sie den Satz. »So heißt es. Aber sagen Sie mir, Miss Harte, trifft das auch zu, wenn über den Teufel geklatscht wird?«
    Sein Blick wurde mit einem Mal so intensiv, dass Eleanor keine Erwiderung einfiel. Der Viscount ging zu seinem Schreibtisch zurück und zog die oberste Schublade auf. »Wie es scheint, brauchen wir uns gegenseitig. Sie haben Ihren Standpunkt gut vertreten, Miss Harte. Sie sind eingestellt. Jeder, der genügend Menschenverstand hat, nicht auf das abergläubische Geschwätz und den Unsinn der Festländer zu hören, verdient ganz gewiss eine Chance. Ihr Gehalt beträgt einhundert Pfund im Jahr. Ist das akzeptabel?«
    Vor noch nicht einmal sechs Monaten hatte
    Eleanor hundert Pfund und mehr für ihre Garderobe zum Saisonbeginn ausgegeben, ohne auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden. Das war Westover-Geld gewesen, Geld, mit dem, wie sie jetzt wusste, die Wahrheiten der Vergangenheit versteckt und mit einer
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