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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land
Autoren: Martina Sahler
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alles klang verlockend – die freie Schiffspassage, das Handgeld, das kostenlose Land, die zinslosen Kredite … Welche Möglichkeiten sich da auftaten!
    Christina fühlte Schwindel, wann immer sie von ihrem neuen Leben zu träumen begann, aber sie wusste auch, dass ihre Mutter niemals ihre Zustimmung gegeben hätte. Deswegen hatte sie ihren Plan bis zu diesem traurigen Tag gehütet wie einen kostbaren Schatz, obwohl sie schier platzte vor Abenteuerlust.
    »Ich habe mich bereits nach neuen Möglichkeiten für uns umgehört«, unterbrach sie nun mit immer noch gesenktem Blick und unterdrückter Begeisterung den Wortwechsel zwischen Eleonora und Klara.
    Schweigen senkte sich über die drei Schwestern. Mit vorgeneigtem Kopf starrten Klara und Eleonora sie an, während Sophia in den Armen ihrer Mutter am Daumen nuckelte.
    Endlich hob Christina die Lider. Ihre Augen funkelten vor Übermut und Lebenshunger. Nur wer den Mut hat zu träumen, hat auch die Kraft zu kämpfen, dachte sie. »Wir ziehen nach Russland«, sagte sie.

    Johann Röhrich schritt in der Wohnstube auf und ab wie ein Bär an der Kette. Das Stampfen seiner Schritte hallte von den Backsteinwänden wider, während er die Hände zu Fäusten geballt hielt.
    Wann immer er das Fenster zur Dorfstraße erreichte, lugte er hinaus auf den Weg, der zu seinem Hof führte, wo er Rinder und Kleinvieh hielt. Ansonsten betrieb er hier seine Flickschusterwerkstatt, die ihm und seiner Familie in den besseren Wochen das tägliche Brot sicherte. Zu seinen wertvollsten Besitztümern gehörten drei Milchkühe. Butter, Quark und drei Sorten Käse verkauften oder tauschten die Röhrichs in den umliegenden Dörfern.
    Auf dem unebenen Weg, der das Langdorf Waidbach schnurgerade durchschnitt und von dem der Pfad zum Hof abzweigte, rumpelte ein Treck mit vielleicht einem Dutzend Fuhrwerken vorbei. Die Alten und die kleinen Kinder hockten zwischen dem mit Seilen und Tüchern befestigten und gegen das Wetter geschützten Mobiliar, alle anderen liefen nebenher, viele in ihrem Sonntagsstaat. Männer trieben schnalzend die Gäule an und zogen mit ausholenden Schritten in Richtung Büdingen. Ihr munterer Wandergesang drang zu Johann.
    Der Flickschuster presste die Lippen aufeinander. Bald, bald, dachte er. In den Wirtshäusern in Büdingen grassierte schon lange das Russlandfieber. Er beabsichtigte allerdings nicht wie viele andere Bauern, Handwerker und Tagelöhner, seinen Besitz unter Wert an einen der Juden zu verkaufen, die die russische Zarin ausdrücklich von der Einladung in ihr riesiges Reich ausgeschlossen hatte. Er wollte einen Höchstpreis erzielen, obwohl das bedeutete, dass er sich noch gedulden musste, bevor er mit seiner Familie aufbrechen konnte. Eile war kein guter Begleiter, wenn es ums Geschäftemachen ging.
    Am letzten Sonntag hatten sie seine Schwester zu Grabe getragen, die Theresa Weber, deren Mann genau wie ihr Schwiegersohn im Siebenjährigen Krieg gefallen war und die drei Töchter hinterließ. Zwei von ihnen waren allerdings keine Kinder mehr, nein, weiß Gott keine Kinder.
    Johann stieß ein heiseres Lachen aus, während er wieder durch die Scheibe nach draußen stierte. Er kratzte sich im Schritt. Wo blieb sie nur?
    Einmal die Woche kam seine Nichte Christina auf den Hof, um die Milch für die Familie Weber zu holen. Und um die Rechnung zu begleichen, wobei es Johann weder um klingende Münzen noch um grobes Leinen ging. Er leckte sich über die Lippen und griff sich ein weiteres Mal zwischen die Beine, um sein anschwellendes Glied in eine bequemere Lage zu bringen.
    Es war wie verhext. Er brauchte nur an Christina zu denken, an ihre jungen Brüste, die wie saftige Äpfel in seine Pranken passten, an das weiße Fleisch ihrer Hinterbacken, die sich ihm lustvoll entgegenreckten, und ihm platzte schier die Hose vor Geilheit. Es verwunderte ihn vor allem deshalb, weil sie sich schon seit mittlerweile zwei Jahren zu ihren heimlichen Stelldicheins trafen, seine Lust auf sie aber immer noch zu wachsen schien.
    Johann Röhrich hatte so viele Frauen in seinem Leben gevögelt, dass er nicht auskäme, wenn er an jedem Finger zehn abzählte. Die Namen hatte er alle vergessen. In den meisten Fällen hatte ein einziges Mal gereicht, um seine Gier zu stillen.
    Nur mit Christina lief es anders. Das Luder verstand es, allein durch ihren wiegenden Gang, durch diese ganz eigene Art, ihm glutvolle Blicke hinter halbgesenkten Lidern zuzuwerfen, durch ihr tiefes Lachen oder eine
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