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weißblau queer gestreift

weißblau queer gestreift

Titel: weißblau queer gestreift
Autoren: S Brandl
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Gottesdienst kann ich mich nicht konzentrieren. Ich mache das nachher am Grab. Oder ich gehe morgen wieder zum Friedhof. Alleine. Nach der Beerdigung lege ich mich jedenfalls nochmal hin. Auf den Leichenschmaus verzichte ich gerne.
    Jetzt müssen alle aufstehen. Ich habe nie ganz kapiert, was gerade dran ist: Sitzen, Aufstehen, Knien, Sitzen … Vor allem das Knien hat mich immer gestört, weil es so unbequem ist. Beim Knien bin ich damals auch umgefallen. Ich habe mir das Kinn angeschlagen und mir auf die Zunge gebissen. Das hat ziemlich weh getan. Naja, das Gute am Stehplatz ist, ich muss bei der Gymnastik nicht mitmachen. Ich kann mir den Ablauf in Ruhe ansehen und laufe nicht Gefahr, unangenehm aufzufallen. Nun setzen sich wieder alle und die Orgel beginnt zu spielen. Singen ist dran. Die Grasmaier Resi hält mir ihr Gesangsbuch hin, damit wir gemeinsam reinschauen können. Eine freundliche Geste, aber mir wäre lieber gewesen, sie hätte das gelassen. Ich kann überhaupt nicht singen. Und schon gar nicht so was. Also bewege ich nur meine Lippen und tue als ob. Das machen hier einige. Meine Mutter zum Beispiel, die kann auch nicht singen, sie wurde mal an der Schilddrüse operiert. Aber wenn man ihr so zusieht, schaut es ziemlich echt aus, so wie sie ihren Mund öffnet und inbrünstig die Brust hebt …
    Nach dem Lied tritt der Pfarrer vor. Ich sehe verstohlen auf die Uhr. Halb zehn. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern. Ich atme durch den Mund, um den Weihrauch nicht riechen zu müssen. Hier hinten ist der Nebel nicht ganz so dick wie in der Nähe des Altars. Mein Kreislauf macht bisher noch gut mit. Es hilft, wenn man ein wenig mit den Zehen wippt, das regt den Blutfluss an. Noch ein paar Worte, ein Lied. Geschafft. Die Kirchgänger bewegen sich auf den Ausgang zu. Ich bin jetzt froh um meinen Platz, denn ich bin eine der Ersten, die an die frische Luft treten können.
    Die Beerdigung erscheint mir noch zermürbender als der Gottesdienst. Ich höre dem Pfarrer ein wenig zu, als er vom Alois spricht. Wörter wie »gottesgläubig«, »großzügig«, »offenherzig« und »liebenswert« fallen, und ich versuche, diese Begriffe mit dem Alois zu verbinden. Es klappt nicht. Kannte der Pfarrer den Alois überhaupt? Oder sagt er zu jeder Beerdigung dasselbe? Ich würde Eigenschaften wie »eigen«, »still«,»frustriert« und »bockig« nennen, das träfe den Alois besser und wäre auch nicht böse gemeint. Wie die anderen Leute wohl über ihn denken? Bedauert in dieser Runde jemand wirklich seinen Tod? Ich sehe in die ernsten Gesichter der Trauergemeinde. Meine Mutter tupft immer wieder an ihren Augen herum. Weint sie tatsächlich? Oder macht sie das so ähnlich wie mit dem Singen? Ich will ihr nichts unterstellen, das Dumme ist nur, ich kenne sie schon mein Leben lang. In den letzten Jahren hat sie ihren Bruder kaum besucht, hat die Versorgung ganz mir überlassen. Und gut geredet hat sie auch nicht über ihn. Wie die meisten hier im Dorf. Der Gedanke, dass keiner den Alois vermissen wird, stimmt mich plötzlich melancholisch. Ich wünsche mir, traurig sein zu können. Für den Alois. Damit wenigstens einer hier seinen Tod bedauert. Doch es gelingt mir nicht. Nur die Melancholie bleibt und verdirbt mir endgültig die Laune.
    Eine Stunde später ist es vorbei. Ich senke den Kopf und will mich vom Acker machen. Doch da steht schon meine Mutter neben mir und packt mich am Ärmel.
    »Willst mit uns mit, zum Alten Wirt ? Dann musst du nicht zu Fuß gehen.«
    »Ich äh …«
    »Nun komm’, Adelheid! Dein Vater ist schon beim Wagen. Wir haben auf elf Uhr reserviert!«
    »Ich wollt’ aber eigentlich …«
    »Ja was? Freilich kommst du mit! Es geht ja um deinen Onkel, bei dem du seit acht Jahr’ wohnst! Alle Leut’ gehen hin! Da wirst du dich doch nicht drücken wollen?«
    »Aber Mama, ich war doch schon in der Kirche …«
    »Adelheid! Bist jetzt ruhig? Wenn das die Leut’ hören, dass du nicht mitkommen magst! Jetzt pack dich ‘zam und komm!«
    »Scheißdreck.«
    »Adelheid!«
    »Ja, schon recht, ich komm’ ja …«
    Blöder Leichenschmaus. Braucht der Tote doch nicht mehr. Und ich weiß, was für absurde und widerwärtige Veranstaltungen das sind. Aber meine Mutter ist mal wieder stärker. Stumm folge ich ihr zum Wagen. Mein Vater sitzt bereits hinter dem Steuer und wartet. Ich lasse mich auf den Rücksitz nieder und unterdrücke ein Stöhnen. Augen zu und durch!
    Drei Stunden später bin ich endlich daheim. Ich
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