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Weiss

Weiss

Titel: Weiss
Autoren: Taavi Soininvaara
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trug ein geblümtes Kopftuch und ein neues, buntes Sommerkleid, auf dem Affen, Palmen und Lianen abgebildet waren – ihr Dschungelkleid. Vilma war in einem wunderbaren Alter, sie dachte sich eigene Geschichten aus, stellte Fragen und gab Lebensweisheiten von sich, die verblüfften. Mit einem dreijährigen Kind konnte man sich schon unterhalten. Jedenfalls mit Vilma, sie war sprachlich begabt, hatte bereits in ihrem ersten Lebensjahr sprechen gelernt und merkte sich Liedtexte und Geschichten in Bilderbüchern erstaunlich gut.
    Kati Soisalo nahm eine Erdbeere, sprühte Schlagsahne darauf, steckte sie in den Mund und schmatzte so laut, dass ihre Tochter es mit Sicherheit hörte.
    »Iss nicht alle!«, schrie Vilma und rannte zu ihrer Mutter, die Puppe hielt sie in der Hand.
    Die Digitalkamera klickte. Kati Soisalo fotografierte, wie ihre Tochter die Erdbeeren genüsslich verspeiste. Vilma war ganz darin vertieft und mampfte mit vollen Backen, schon bald war ihr Gesicht bis zu den Wangen und zum Kinn von den Beeren ganz rot gefärbt und die Hände auch. Schlagsahne aus der Dose mochte sie nicht, ein kluges Mädchen. Die beiden ließen es sich schmecken, ohne jede Eile, und unterhielten sich dabei überdas, was sie gesehen hatten: das Schifffahrtsmuseum und das Aquarium in der Festung des Heiligen Johannes, den Sandstrand der Insel Lopud … und sie fragten sich, warum es in den Toiletten kroatischer Restaurants kein Töpfchen für kleine Kinder gab.
    »Jetzt geht Mutti mit ihrem Kind Saara spazieren«, beschloss Vilma resolut, als sie sich den Bauch vollgeschlagen hatte, und Kati Soisalo musste sich beeilen, damit sie ihrer Tochter noch den Mund und die Hände abwischen konnte.
    »Geh nicht so weit weg«, ermahnte sie das Mädchen und wunderte sich einmal mehr, warum der Gradac-Park so wenig Spaziergänger anlockte, sie sah niemanden weit und breit. Allerdings war Mitte September die Hochsaison im Tourismus schon langsam vorbei. Plötzlich schien es ihr so, als hörte sie in der Nähe jemanden flüstern, sie drehte sich um und glaubte zwischen den Kiefern kurz etwas Gelbes gesehen zu haben. Doch so sehr sie auch die Ohren spitzte und angestrengt Ausschau hielt, es war nichts zu hören und niemand zu sehen. Vilma spielte wenige Meter entfernt mit ihrer Puppe.
    Zum Glück fand das Kind trotz allem Freude an ihrer Urlaubsreise. Die Ereignisse im Spätsommer hatten auch bei dem Mädchen ihre Spuren hinterlassen: Vilma litt zuweilen unter Alpträumen und hing mehr an ihrer Mutter als zuvor. Kein Wunder, Jukka Ukkola kümmerte es nicht im Geringsten, ob seine Tochter mithörte, was für Gemeinheiten er ihrer Mutter an den Kopf warf, wenn er immer wieder in ihrer Wohnung oder an Vilmas Kita auftauchte. Kati Soisalo fürchtete, dass sie bei den Einzelheiten des gemeinsamen Sorgerechts und des Besuchsrechts nie eine Einigung erreichen würden. Ukkola drohte, alle Prozesse zu behindern und in die Länge zu ziehen, dieser Idiot bildete sich tatsächlich ein, er könnte sie durch Erpressung zwingen, zu ihm zurückzukehren. So durfte es nicht mehr lange weitergehen; sie musste sich entscheiden, wie sie Ukkola in die Schranken weisenwollte. Sollte sie ein Näherungsverbot beantragen oder Strafanzeige erstatten? Hausfriedensbruch, Körperverletzung, gesetzwidrige Drohung … Gründe gab es genug, das wusste sie als Juristin natürlich, allerdings wusste sie genauso gut, dass sie dann handfeste Beweise für Ukkolas Vergehen brauchte. Sollte sie jemanden bezahlen, der sie beschaffte?
    Kati Soisalo trank Wein und grübelte über ihre Probleme nach. Es war unfassbar, wie sich ihr Leben innerhalb von vier Jahren so vollständig ändern konnte. Bevor sie Ukkola kennengelernt hatte, waren die viel zu langen Arbeitstage und die Suche nach einem anständigen Mann und einer Stelle als Justitiarin eines Unternehmens ihre größten Sorgen gewesen. Sie goss die letzten Tropfen aus der kleinen Weinflasche in den Pappbecher, stopfte die Speisereste und den Abfall in eine Plastiktüte, packte ihren Rucksack ein und schaute sich nach Vilma um. Der Buggy stand fünfzig Meter entfernt auf dem Sandweg, wie hatte sie es in der kurzen Zeit so weit geschafft.
    »Vilma! Wir gehen jetzt!«, rief Kati Soisalo. »Wir wollen uns im Hotel noch ein bisschen hinlegen vorm Zähneputzen und der Gutenachtgeschichte.« In aller Ruhe ging sie auf den Kinderwagen zu und erwartete jeden Moment, dass ihre Tochter hinter einem Baum hervorsprang. Neben dem Buggy blieb sie
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