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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass
Autoren: Christoph Hein
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Nein, entschuldige, nur vierzehn Jahre lang habe ich das von dir gehört, denn heute hast du diesen Satz nicht mehr gesagt.«
    »Und du wirst ihn auch nicht mehr hören. Unter uns, im Rat gibt es Stimmen, die die Schließung unseres Instituts verlangen. So weit sind wir. Die Kulturwissenschaft bringt kein Geld, wir haben keine Sponsoren, treiben viel zu wenig Drittmittel auf, wir gelten als Belastung. Wir sind eine Belastung. Der Studiengang Ethik brachte nicht die erforderlichen Studenten, und wir hatten ihn sogar wie gewünscht als Bachelor eingerichtet, der Magisterstudiengang Philosophie läuft aus, Ethnologie mussten wir einstellen, ich bin froh, dass die Medienfächer angenommen werden. Obwohl, unser Videostudio spielt nicht das notwendige Geld ein, wie uns Veronika zusicherte. Es finanziert sich nicht einmal selbst. Wir müssen tricksen, damit es nicht geschlossen wird, denn wir brauchen das Studio, es zieht die Studenten an. Und wenn mich dann der Teufel reiten sollte und ich von der mir einmal versprochenen vollen Professur für dich rede, wenn ich statt dieser halben Stellen endlich die für dich benötigte Ratsstelle anspreche, eine für dich und eine für Veronika, für das Institut, dann schlage ich lediglich einen Sargnagel ein. Einen weiteren Sargnagel. Denn dann kann es leicht passieren, dass wir alle nichts mehr haben, und du nicht einmal mehr die halbe Stelle.«
    »Kannst du dir vorstellen, wie mich dieses jahrzehntelange Vertrösten ankotzt? Es geht mir auf die Eier, Frieder. Du darfst ruhig grinsen, es ist so, wie ich sage. Es ist nicht sehr angenehm, ein alter Mann zu werden und nichts erreicht zu haben.«
    Schlösser hält die Augen geschlossen und massiert seine Schläfen.
    »Dass du nichts erreicht hast, stimmt nicht. Du bist mein bester Mann. Du hast Erfahrung, kannst mit den Studenten umgehen, veröffentlichst mehr als alle anderen, mich eingeschlossen, und deine Aufsätze sind nach wie vor lesbar. Und falls du kündigst, was ich nichthoffe, was ich mir nicht vorzustellen wage, bin ich aufgeschmissen. Denn dann wirst du mir doppelt fehlen. Die Wahrheit ist nämlich, deine Stelle, Rüdiger, diese verfluchte halbe Stelle, wird nicht mehr neu besetzt, sie wird gestrichen. Sie hat die letzte Evaluierung nicht überlebt, wird derzeit nur noch als kw geführt, kann wegfallen. Das ist meine Lage. Unsere Lage.«
    Schlösser lässt die Hände sinken und öffnet die Augen.
    »Und was in einem Jahr sein wird, darüber wage ich nicht nachzudenken. Als ich damals berufen wurde, da glaubte ich, ich hätte es geschafft. Mein Ehrgeiz war gestillt, ich war unkündbar, hatte ausgesorgt, war am Ziel meiner Wünsche. Fünf Jahre später kam für uns das Ende bei den Germanisten, und ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung, dass wir nahezu vollständig, ohne allzu große Verluste, bei der Theaterwissenschaft unterkamen. Und heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es hier bis zur Pension durchhalten kann. Seit sechs Monaten geht im Senat die Rede über eine erneute Evaluierung, die Uni muss weiter einsparen, noch mehr und noch mehr, koste es, was es wolle, und du weißt genauso gut wie ich, was das für uns bedeuten würde. Auf so etwas wie Solidarität kann ich nicht mehr hoffen, in den Rektoratssitzungen ist sich jeder selbst der Nächste, und wir gelten ohnehin als Exoten, als ein Orchideenfach. Wir bekommen keine Fördermittel, aus keinem Topf. Wir haben von der Cobac keine Stiftungsprofessur bekommen, die Zusage war heiße Luft, oder die Gesellschaft hat tatsächlich Zahlungsschwierigkeiten. Kurzum, wir kosten die Uni nur Geld. Die Folgen kennst du. Wir sind nicht mehr im Senat vertreten, wir sindnicht mehr stimmberechtigte Mitglieder, unser Stellenplan wird geradezu nach Belieben zusammengestrichen. Und ich kann nichts tun. Inzwischen kann ich nichts für mich tun, ich kann nichts für dich tun. Und all das weißt du genauso gut wie ich.«
    »Sind wir eine Universität oder ein Dienstleistungsunternehmen, das sich nach Kundenwünschen zu richten hat?«
    »Wenn die Bewerbungszahlen nach unten gehen, werden wir ersatzlos eingestellt.«
    »Und so etwas nannte sich mal Alma Mater, Bildung und Wissen, nährende Mutter.«
    »Sie nährt nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ihre Professoren und Dozenten.«
    »Tja, dann werd ich mal«, sagt Stolzenburg und erhebt sich umständlich aus dem Sessel, »meine wissbegierigen Studenten warten. Und wir wollen sie ja gut ausgebildet in die Arbeitslosigkeit entlassen. Das
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