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Weiberregiment

Weiberregiment

Titel: Weiberregiment
Autoren: Terry Pratchett
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überspannte. Sie war dünn und elegant geschwungen, und angeblich hielt sie ohne Mörtel zusammen. Es hieß, dass ihr eigenes Gewicht sie fest im Felsgestein auf beiden Seiten verankerte. Ein Wunder der Welt sollte sie sein, aber die Leute in dieser Gegend wunderten sich nicht oft und waren sich der Welt kaum bewusst. Es kostete einen Cent, die Brücke zu überqueren, oder hundert Goldstücke, wenn man einen Ziegenbock dabei hatte. 1 Auf halbem Wege zur anderen Seite blickte Polly übers Geländer und sah den Karren tief unten. Er rollte über die schmale Straße dicht über dem weiß schäumenden Wasser.
    Den ganzen Nachmittag über ging es bergab, durch den dunklen Kiefernwald auf dieser Seite der Schlucht. Polly beeilte sich nicht, und bei Sonnenuntergang sah sie das Wirtshaus. Der Karren war bereits eingetroffen, und allem Anschein nach hatte der Rekrutierungsfeldwebel nicht einmal einen Versuch gemacht.
    Es ertönte kein Trommelschlag wie am vergangenen Abend, und es erklangen auch keine Rufe wie: »Kommt, ihr Grünschnäbel! Das Leben ist großartig bei den Rein-und-Raussern!«
     
    Es gab immer Krieg.
Es war ein Grenzstreit, das nationale Äquivalent des Vorwurfs, dass der Nachbar seine Hecke zu lang wachsen ließ. Manchmal wurde die Sache größer. Borograwien war ein friedliebendes Land, umgeben von verräterischen, heimtückischen und kriegerischen Feinden. Es mussten verräterische, heimtückische und kriegerische Feinde sein, denn sonst würden wir ja nicht gegen sie kämpfen. Es gab immer Krieg.
    Pollys Vater war beim Militär gewesen, bevor er das Wirtshaus »Zur Herzogin« von Pollys Großvater übernommen hatte. Er sprach nicht viel darüber. Er hatte sein Schwert mit nach Hause gebracht, hängte es aber nicht über den Kamin, sondern benutzte es als Schürhaken. Manchmal besuchten ihn Freunde, und wenn die Gaststube für die Nacht geschlossen hatte, saßen sie am Feuer, tranken und sangen. Die junge Polly hatte einen Vorwand gefunden, um aufzubleiben und den Liedern zuzuhören, doch das fand ein Ende, als sie eins der interessanteren Wörter in Anwesenheit ihrer Mutter benutzte und sich dadurch in Schwierigkeiten brachte. Jetzt war sie älter und servierte Bier, und man nahm an, dass sie die Wörter kannte oder bald herausfinden würde, was sie bedeuteten. Außerdem befand sich ihre Mutter inzwischen an einem Ort, wo sie keinen Anstoß mehr an Wörtern nahm und wo solche Ausdrücke, rein theoretisch, nie benutzt wurden.
    Die Lieder waren Teil von Pollys Kindheit gewesen. Sie kannte den Text von »Die Welt steht Kopf«, »Der Teufel soll mein Feldwebel sein«, »Ich hatt einen Kameraden«, »Als Jungen wurden wir Soldaten« und »Ich ließ ein Mädchen zurück«. Nachdem das Bier eine Zeit lang geflossen war, hatte Polly Gelegenheit bekommen, sich die Worte von »Oberst Krapski« und »Ich wünschte, ich hätte sie nie geküsst« einzuprägen.
    Und dann gab es da noch das Lied »Süße Polly Oliver«. Ihr Vater hatte es gesungen, wenn sie als kleines Mädchen gereizt oder traurig gewesen war, und sie hatte gelacht und Freude daran gefunden, hauptsächlich deshalb, weil ihr Name darin vorkam. Sie kannte den Text auswendig, noch bevor sie begriff, was die einzelnen Wörter bedeuteten. Und jetzt…
    Polly öffnete die Tür. Der Rekrutierungsfeldwebel und sein Korporal sahen von dem fleckigen Tisch auf, an dem sie saßen, die Bierkrüge auf halbem Weg zu den Lippen. Sie atmete tief durch, trat an den Tisch heran und versuchte zu salutieren.
    »Was willst du, Junge?«, knurrte der Korporal.
    »Möchte Soldat werden, Herr!«
    Der Feldwebel wandte sich Polly zu und grinste, was sonderbare Bewegung in seine Narben brachte und alle Kinne wackeln ließ.
    Das Wort »dick« konnte man bei ihm eigentlich nicht verwenden, nicht wenn das Wort »fett« sich nach vorn drängelte. Er gehörte zu den Leuten, die keine Taille haben, sondern einen Äquator. Er hatte Schwerkraft. Wenn er fiel, in welche Richtung auch immer, würde er schaukeln. Sonnenschein und Alkohol hatten sein Gesicht rot gebrannt. Kleine dunkle Augen funkelten in der Röte wie die glitzernde Schneide eines Messers. Neben ihm auf dem Tisch lagen zwei altmodische Entermesser, Waffen, die mehr Ähnlichkeit mit einem Hackbeil hatten als mit einem Schwert.
    »Einfach so?«, fragte er.
    »Jaherr!«
    »Im Ernst?«
    »Jaherr!«
    »Du möchtest nicht, dass wir dich zuerst stockbetrunken machen? Das ist Tradition, weißt du.«
    »Neinherr!«
    »Ich habe dir
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