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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue
Autoren: David Gemmell
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einen Sessel ihm gegenüber. Unbemerkt ließ sich Keeva mit überkreuzten Beinen auf einem Teppich nieder. »Es ist eine große Freude und Ehre, dich zu sehen, Sir«, fuhr Jonan fort. »Hätten wir von deinem Kommen gewusst, hätten wir dir zu Ehren ein Festmahl vorbereitet.«
    Die Frau kam mit einem Becher Apfelsaft für den Grauen Mann und einem Krug Bier für Jonan zurück. Als sie sich wieder zurückzog, warf sie Keeva einen Blick zu und bedeutete ihr lautlos, ihr zu folgen. Keeva stand auf und ging durch das Zimmer und über den Korridor in eine lange Küche. Die Frau des Hauses war nervös, doch sie bot Keeva einen Platz an einem Holztisch an und füllte einen Becher mit Saft. Keeva trank.
    »Wir wussten nicht, dass er kommen würde«, sagte die Frau nervös und setzte sich Keeva gegenüber. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das lange blonde Haar, schob es aus der Stirn und band es im Nacken zusammen.
    »Es ist keine Inspektion«, sagte Keeva leise.
    »Nein? Bist du sicher?«
    »Ganz sicher. Ein paar Räuber haben mein Dorf überfallen. Er hat sie verfolgt und getötet.«
    »Ja, er ist ein schrecklicher Killer«, sagte die Frau mit zitternden Händen. »Hat er dir etwas angetan?«
    Keeva schüttelte den Kopf. »Er hat mich vor ihnen gerettet. Er bringt mich nach Hause.«
    »Ich dachte, mir bliebe das Herz stehen, als er ankam.«
    »Ihm gehört auch dieses Dorf, nichtwahr?«, fragte Keeva.
    »Ihm gehört alles Land im Halbmond. Hat es vor sechs Jahren von Graf Aric gekauft, wenn er auch in dieser ganzen Zeit nur einmal hier war. Wir schicken ihm seine Steuern. In voller Höhe«, setzte sie rasch hinzu. Keeva antwortete nicht darauf. Mit Sicherheit konnte keine Gemeinde, die volle Steuern zahlte, sich so schöne Kleider, Möbel und Kiatze-Teppiche leisten. Und wäre auch nicht so nervös wegen einer Inspektion. Aber Steuerhinterziehung war nach ihren begrenzten Erfahrungen die Lebensweise bei Bauern und Fischern. Ihr Bruder hatte es immer geschafft, von zwanzig Säcken Getreide einen beiseite zu schaffen, um ihn auf dem Markt zu verkaufen und so seiner Familie gelegentlich einen kleinen Luxus bieten zu können, wie neue Schuhe oder ein besseres Bett für sich und seine Frau.
    »Ich heiße Conae«, sagte die Frau und entspannte sich etwas.
    »Keeva.«
    »Haben die Räuber viele aus eurem Dorf getötet?«
    »Fünf Männer und drei Frauen.«
    »So viele? Wie schrecklich.«
    »Sie kamen bei Einbruch der Dunkelheit. Ein paar Frauen gelang es, mit den Kindern davonzulaufen. Die Männer versuchten zu kämpfen. Es war sehr rasch vorbei.« Keeva schauderte bei der Erinnerung.
    »War dein Mann unter ihnen?«
    »Ich bin nicht verheiratet. Ich lebte in Carlis bei meinem Onkel, und als er letztes Jahr starb, begann ich für meinen Bruder zu arbeiten. Er wurde getötet. Genau wie seine Frau. Und dann brannten sie unser Haus nieder.«
    »Armes Mädchen«, sagte Conae.
    »Ich lebe«, erwiderte Keeva.
    »Standest du deinem Bruder sehr nahe?«
    Keeva schüttelte den Kopf. »Er war ein harter Mann und hat mich wie eine Sklavin behandelt. Seine Frau war auch kaum besser.«
    »Du könntest hier bleiben«, meinte Conae. »Es gibt mehr junge Männer als junge Mädchen, und ein hübsches Kind wie du könnte leicht einen guten Ehemann finden.«
    »Ich bin nicht auf der Suche nach einem Mann«, sagte Keeva. »Noch nicht«, setzte sie hinzu, als sie die Besorgnis auf Conaes Gesicht sah. Sie blieben noch eine Weile in recht unbehaglichem Schweigen sitzen, dann lächelte Conae gezwungen und stand auf. »Ich hole dir ein paar Sachen«, sagte sie. »Für die Reise.«
    Als sie den Raum verließ, lehnte Keeva sich im Stuhl zurück. Sie war jetzt müde und sehr hungrig. Ist es schlecht von mir, dass ich nicht über Gravas Tod trauere?, überlegte sie und stellte sich sein breites Gesicht und die kleinen, kalten Augen vor. Er war ein Rohling, und du hast ihn gehasst, sagte sie sich. Es wäre Heuchelei, jetzt Kummer vorzugeben. Sie stand auf, ging durch die Küche und schnitt sich ein Stück Brot ab. Dann schenkte sie sich noch etwas Apfelsaft ein. In der Stille konnte sie die Unterhaltung aus dem Wohnzimmer hören. Kauend ging sie näher zur Wand. Dort befand sich ein geschlossener hölzerner Laden, durch den man das Essen aus der Küche reichen konnte. Sie legte ihr Auge an den Spalt und sah den Grauen Mann aufstehen. Jonan erhob sich ebenfalls.
    »Im Wald nordöstlich von hier liegen Tote«, sagte der Graue. »Schick ein paar Männer hin, sie
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