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Waylander der Graue

Waylander der Graue

Titel: Waylander der Graue
Autoren: David Gemmell
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ihren Gebrauch studieren können, und drei weitere Säle, die für die Behandlung von Kranken vorgesehen sind.«
    Keeva schwieg eine Weile, dann sah sie ihm in die Augen. »Es tut mir Leid«, sagte sie.
    »Warum solltest du dich entschuldigen? Du bist eine attraktive junge Frau, und ich kann verstehen, dass du unwillkommene Annäherungen fürchtest. Du kennst mich nicht. Warum solltest du mir also trauen?«
    »Ich traue dir«, erklärte sie. »Darf ich dich etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Wenn du einen Palast hast, warum sind deine Kleider so alt und warum reitest du alleine hinaus, um dein Land zu beschützen? Wenn man an all das denkt, das du verlieren könntest?«
    »Verlieren?«, fragte er zurück.
    »Deinen ganzen Wohlstand.«
    »Wohlstand ist eine geringe Sache, Keeva, wie ein Sandkorn. Er erscheint nur denen groß, die ihn nicht besitzen. Du sprichst von ›meinem‹ Palast. Ich habe ihn gebaut, und ich lebe darin. Doch eines Tages werde ich sterben, und der Palast wird einen neuen Besitzer haben. Dann wird auch er sterben. Und so geht es weiter. Ein Mensch ›besitzt‹ nichts außer seinem Leben. Für kurze Zeit hält er Dinge in der Hand. Wenn sie aus Metall oder Stein sind, werden sie ihn gewiss überdauern und dann von einem anderen für kurze Zeit besessen werden. Wenn sie aus Tuch bestehen, wird er sie – mit etwas Glück – überdauern. Sieh dir doch die Bäume und die Berge an. Nach den Gesetzen Kydors gehören sie mir. Glaubst du, dass es die Bäume kümmert, dass sie mir gehören? Oder die Berge, dieselben Berge, die schon im Sonnenschein dalagen, als meine frühesten Vorfahren über die Erde schritten? Dieselben Berge, die noch immer grasbewachsen sein werden, wenn auch der letzte Mensch zu Staub geworden ist?«
    »Das verstehe ich«, sagte Keeva, »doch mit deinem ganzen Reichtum könntest du für den Rest deines Lebens alles haben, was du dir wünschst, jeder Genuss stünde dir offen.«
    »Auf der ganzen Welt gibt es nicht genug Gold, um mir das zu geben, was ich mir wünsche«, sagte er.
    »Und was ist das?«
    »Ein reines Gewissen«, antwortete er. »Und jetzt: Möchtest du ins Dorf zurückkehren, um dafür zu sorgen, dass dein Bruder begraben wird?«
    Die Unterhaltung war offenbar vorüber. Keeva schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte nicht dorthin.«
    »Dann werden wir Weiterreisen. Wir sollten gegen Abend mein Haus erreichen.«
    Sie erklommen einen Hügel und begannen auf der anderen Seite den langsamen Abstieg auf eine weite Ebene hinunter. So weit das Auge sah, waren überall Ruinen. Keeva zügelte ihr Pferd und blickte über die Ebene. An einigen Stellen lagen lediglich ein paar weiße Steine, an anderen konnte man noch die Umrisse von Gebäuden erkennen. Nach Westen zu, vor einer steilen Felswand, standen die Überreste zweier hoher Turme, die wie gefällte Bäume umgestürzt waren.
    »Was war das hier?«, fragte sie.
    Der Graue Mann ließ seinen Blick über die Ruinen schweifen. »Eine alte Stadt namens Kuan Hador. Niemand weiß, wer sie erbaute oder weshalb sie unterging. Ihre Geschichte ist in den Nebeln der Zeit verloren.« Er sah sie an und lächelte. »Ich nehme an, dass die Menschen hier einst glaubten, ihnen gehörten die Berge und die Bäume.«
    Sie ritten auf die Ebene hinunter. In einiger Entfernung im Westen sah Keeva Nebel, der zwischen den zerklüfteten Ruinen wallte. »Wo wir gerade von Nebel sprechen«, sagte sie und wies ihren Gefährten daraufhin.
    Waylander hielt sein Pferd an und blickte nach Westen. Keeva ritt an seine Seite. »Warum lädst du deine Armbrust?«, fragte sie, als er zwei Bolzen in die Vertiefungen der kleinen schwarzen Waffe schob.
    »Gewohnheit«, antwortete er, doch seine Miene war ernst, seine dunklen Augen plötzlich misstrauisch. Er lenkte sein Pferd nach Südosten, weg von dem Nebel.
    Keeva folgte ihm und drehte sich im Sattel um, um noch einen Blick auf die Ruinen zu werfen. »Seltsam«, meinte sie, »der Nebel ist weg.«
    Auch er blickte sich um, dann entlud er seine Waffe wieder und ließ die Bolzen in den Köcher an seinem Gürtel gleiten. Er sah, wie sie ihn beobachtete.
    »Es gefällt mir hier nicht«, sagte sie. »Es fühlt sich … gefährlich an«, schloss sie lahm.
    »Du hast gute Instinkte«, meinte er.
     
    Matze Chai schob die bemalten Seidenvorhänge seiner Sänfte beiseite und betrachtete mit unverhohlenem Missvergnügen die Berge. Sonnenstrahlen fielen durch die Wolken und glänzten leuchtend auf den schneebedeckten
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