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Was wir Liebe nennen

Was wir Liebe nennen

Titel: Was wir Liebe nennen
Autoren: Jo Lendle
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herumzudämmern? Woran sollte man merken, ob die Zeit verging? Verging sie überhaupt?
    Nur ab und zu war über das Wasser her ein entferntes Plätschern zu hören. Wenn Lambert den Kopf hob, war nichts mehr davon zu sehen. Schwer zu sagen, ob es ein schnappender Fisch gewesen war, die Schwanzflosse eines Seeungeheuers oder ein kleiner, hineinstürzender Meteorit.
    Ein Telefonat musste er noch machen.
    Â»Ist deine Mutter jetzt da?«
    Â»Nein, diesmal ist sie im See.«
    Â»Im See?«
    Â»Schwimmen.«
    Â»Sag ihr einen Gruß. Ich denke an sie. Nachher fliege ich wieder zurück.«
    Â»Danke. Es geht uns schon besser.«
    Â»Das freut mich. Mir geht es auch besser, seit du mir gestern geholfen hast.«
    Â»Gern geschehen. Übrigens …«
    Â»Ja?«
    Â»Eine Sache, weil wir doch fast zusammen gestorben wären. Meine Lehrerin hat gesagt, Treppensteigen ist gesund. Jede Stufe verlängert das Leben um sechs Sekunden.«
    Â»Und?«
    Eine lange, nachdenkliche Pause. Lambert dachte schon, die Verbindung sei unterbrochen, dann sagte Sascha aus weiter Ferne: »Wenn ich zehn Stufen in der Minute schaffe, bin ich unsterblich.«
    Â»Das wünsche ich dir.«
    Nach einer guten Stunde hörte Lambert das Geräusch herannahender Hufe. Er s pürte es eher, als dass es wirklich zu hören war, das Trampeln schien direkt aus der Erde zu kommen. Allmählich wurde es lauter, begleitet vom Surren streifender Äste, dann ritt Fe zu ihm heran ans Ufer. Sie stieg nicht ab. Lambert sah zu ihr hinauf und fragte:
    Â»Wo ist er?«
    Â»Weg.«
    Das Pferd war außer Atem, das Fell verschwitzt, es riss das Maul auf. Fe klopfte ihm den Hals.
    Lambert zögerte mit seiner Antwort. »Das ist nicht dein Ernst. Ich kann ohne ihn nicht zurück.«
    Â»Er ist ganz weg.«
    Â»Ganz?«
    Â»Ja, ganz.«
    Â»Wie, ganz?«
    Â»Er hat das Pferd getötet.«
    Lambert warf einen Stein ins Wasser. Wieder dieses Geräusch. Immerhin wusste er diesmal, woran es lag.
    Â»Was ist passiert?«
    Â»Er hat es gegessen.« Fe verzog das Gesicht zu einer seltsamen Fratze. »Als ich schlief. Hunger hatten wir beide, aber er hat es einfach gemacht. Er hat sich ein Stück herausgeschnitten und es am Feuer gebraten.«
    Â»Nein.«
    Â»Doch. Als ich aufwachte, fing er gerade an zu essen. Mit Blick aufs Wasser, in seinen Schlafsack gehüllt. Es sah romantisch aus.«
    Â»Und dann?«
    Â»Erinnerst du dich, was der Cowboy gesagt hat, als wir zum Rauchen vor dem Restaurant standen? You touch my hat, I scratch your face. Wer meine Pferde anrührt, bekommt es mit mir zu tun. Ich habe ihn getötet.«
    Â»Du hast ihn – aus Rache?«
    Â»Lass uns kein Drama daraus machen. Wir wussten doch alle, dass es nur einer von euch schafft.«
    Â»Es gibt ihn nicht mehr?«
    Â»Davon würde ich ausgehen. War ein ziemliches Schlamassel. Ich habe einfach alles so gelassen, wie es war, und bin hergeritten.«
    Während Fe sich im See wusch, beruhigte Lambert das Pferd. Er striegelte sein Fell und zeigte ihm eine Stelle mit frischem Gras, wo er es an einen Stamm band. Wenn sie noch länger so weitermachten, hatten sie es bald gezähmt.
    Und er selbst? Er hatte Pferde nie gemocht, aber dieses hier würde er vermissen, wie manches andere auch. Sein Herz schien wieder im Takt zu sein, was sich ungeheuer beruhigend anfühlte. Es war eine andere Sorte Schmerz, die er jetzt s pürte, eine andere Art von Reißen, die ihm weniger Sorgen bereitete, weil er Abschiede kannte. Er würde sich lösen und freimachen. Schlimmstenfalls wie eines der wilden Pferde aus dem Eisen. Es würde wehtun, und ein Stückchen Leben bliebe hängen, aber das Hauptstück wäre doch wieder heraus, man musste nur zusehen, dass man nicht verblutete. Lambert pflückte ein paar Halme und hielt sie dem Pferd hin. Es kitzelte, als ihm der nasse Schleim auf die Hand tropfte, aber darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.
    Â»Man nennt es Mehlmaul, weil es so weiß ist.« Er hatte Fe nicht kommen gehört. Ihre Haare waren nass, das Wasser tropfte auf ihr T-Shirt, sie schien es nicht zu bemerken.
    Â»Sie haben ein besonderes Gen, das es so hell macht. Siehst du, um die Augen ist es auch ganz hell. Und am Bauch und hier an den Innenseiten der Beine.«
    Â»Reine Biologie, mal wieder?«
    Â»Ja, wie alles. Es ist wohl dasselbe Gen wie beim Lichtfuchs.«
    Â»Lichtfuchs?
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