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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn
Autoren: Wiebke Lorenz
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es nicht mehr weh tat. Und an dem es mir auf einmal
auch egal war, was die anderen dachten. In dieser Beziehung war Moritz
Lichtenberg ein heilsamer Schock, die Geschichte hat mich wirklich abgehärtet.
    Doch jetzt, als er auf einmal wie aus dem Nichts vor mir steht,
merke ich, daß er mich noch immer aus der Fassung bringt. Ein Lächeln von ihm
genügt, und ich weiß genau, warum ich mich als Mädchen in ihn verliebt habe.
Dabei habe ich bis vor einer Minute überhaupt nicht mehr an ihn gedacht. Und,
verdammt: Moritz sieht noch besser aus als früher! Können dem nicht langsam
auch mal die Haare auf dem Kopf ausfallen und statt dessen neue aus den Ohren
wachsen, wie sich das für einen normalen Mann um die Dreißig gehört?
    Aber keine Spur von Verfall: groß, dichtes dunkles Haar, braune
Augen mit gelben Sprenkeln, ein breites Schwimmerkreuz. Und wie ich zu meiner
grenzenlosen Verzückung feststellen muß, haben sich mittlerweile auf beiden
Wangen zwei wahnsinnig erotische Falten ihren Weg gegraben. Ich hasse mich
dafür, aber mein Körper startet sofort sein Bereitschaftsprogramm: Mein Herz
wummert, ich erröte leicht und habe Schwierigkeiten, einen zusammenhängenden
Gedanken zu fassen. Von »Nimm mich!« jetzt mal abgesehen. Wahrscheinlich tropft
mir schon der Speichel aus den Mundwinkeln.
    Und dann ist da noch ein Gedanke, der plötzlich durch meinen Kopf
schießt: eine zweite Chance? Jeder hat seine Achillesferse, und scheinbar bin
ich gerade über meine gestolpert.
    »Hallo?« Moritz fuchtelt mit einer Hand vor meinen Augen rum. »Bist
du noch da?« Ich starre ihn noch immer an. »Charly?« Jetzt legt er seine Hand
auf meine Schulter und schüttelt mich sanft. Der Körperkontakt löst mich aus
meiner Schreckensstarre.
    »Äh, ja, klar«, stottere ich. »Ich bin nur überrascht, dich zu
sehen.«
    »Wer ist denn der Typ?« geht Tim dazwischen und mustert meine
Jugendliebe von oben bis unten.
    »Ein Schulfreund«, erklärt Moritz.
    »Ach, ein Schulfreund! Was für ein Zufall, erst vorhin sprachen wir
über Charlys ehemaligen Klassenkameraden.« Mein Boß klingt etwas feindselig.
Aber er kann Anzugtypen eben nicht leiden, und Moritz sieht aus, als käme er
gerade von der Jahreshauptversammlung der Rotarier.
    »Ich mach eine kurze Pause.« Mit diesen Worten zerre ich Moritz in
die entlegenste Sitzecke, die das Drinks & More zu bieten hat, bevor Tim
erläutert, was genau ich über meine Mitschüler
erzählt habe. Der bringt es fertig und tut das.
    »Wie kommst du denn hierher?« will ich wissen, als wir uns
hingesetzt haben.
    »Das Abitreffen«, erklärt Moritz und zieht Einladung und Adressenliste
aus der Innentasche seines Jacketts. Klar, er hat’s auch gelesen. »Ich hab
diese Woche einen Job hier im Viertel«, sagt er und steckt die Einladung wieder
weg. »Wollte mal sehen, ob es wirklich wahr ist, daß
du hier arbeitest.«
    »Du sagst das so, als würde ich Nippelklemmen und Gebrauchtslips auf
der Reeperbahn verhökern«, rutscht es mir raus. Moritz wirkt schockiert.
    »Wollt ihr was trinken?« rettet Tim mich aus der Situation.
    »Einen Latte Macchiato bitte«, bestellt Moritz. Woher habe ich das
nur gewußt? Mir wäre eher nach einem Bier, aber ich schließe mich damenhaft an.
Mein Chef eilt tief verbeugt von dannen.
    »Freut mich, dich zu sehen«, stelle ich fest, um ein normales
Gespräch zu beginnen.
    »Das geht mir auch so«, meint Moritz. »Gerade in letzter Zeit habe
ich oft an dich denken müssen.«
    »Ja?« Hoffentlich war das nicht zu sehr gehaucht! Moritz nickt.
    »Irgendwie beschäftige ich mich momentan häufig mit früher.« Er
blickt mich nachdenklich an und spielt dabei mit einem Bierdeckel herum. »Bin
wohl in der Quarterlifecrisis oder so.« Er lacht etwas unbeholfen.
    »Und in deiner Quarterlifecrisis denkst du also an mich?« Soll das
ein Kompliment sein?
    »Na ja, ich überlege halt, wo ich im Leben stehe und wie es bisher
verlaufen ist. Und du bist ja nicht gerade ein unwichtiger Teil davon gewesen.«
    »Findest du?« Ich bin platt. Moritz guckt mich lange an. Dann sagt
er, ganz leise, aber trotzdem deutlich:
    »Natürlich bist du das.« Ich wußte es. Ich wußte, daß ich ihm damals
auch wichtig gewesen bin. Und ich mußte nur dreizehn Jahre warten, damit er es
mir sagt. »Als ich dann letzte Woche die Einladung zum Abitreffen in meinem
Briefkasten gefunden habe«, fährt er fort, »kam es mir vor, als wäre das so
etwas wie Schicksal. Tja, und jetzt bin ich also hier.«
    »Jetzt bist
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