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Was sie nicht weiss

Was sie nicht weiss

Titel: Was sie nicht weiss
Autoren: Simone van Der Vlugt
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schlafen konnte. Gutgetan hat es ihr jedenfalls. Die Kopfschmerzen haben nachgelassen, dafür sind jetzt ihre Arme verkrampft, die Tamara auf dem Rücken zusammengebunden hat. Und sie verspürt quälenden Durst.
    Als sie sich auf die andere Seite wälzt, merkt sie, dass ihre Pistole fehlt. Jetzt hat Tamara also eine Waffe!
    Um Hilfe rufen hat keinen Sinn, überlegt sie. Damit würde sie Tamara nur provozieren, und die Nachbarn könnten sie ohnehin nicht hören. In der Ausbildung hat sie gelernt, dass es in manchen Situationen am besten ist, sich mit der Person, die einen festhält oder bedroht, gutzustellen. Bisher hat es zwar nicht den Anschein, dass Tamara sie umbringen will, doch dass sie vor nichts zurückschreckt, ist Lois sehr wohl bewusst.
    Wieder dreht sie sich auf die andere Seite, findet aber keine bequemere Lage. Was gäbe sie darum, sich kurz recken und strecken zu können, nur ein paar Minuten … Womit hat Tamara sie überhaupt gefesselt?
    Lois dreht den Kopf so, dass sie ihre Füße sieht.
    Kabelbinder! Sich daraus zu befreien ist ein Ding der Unmöglichkeit. Bei jeder heftigen Bewegung würden sie ihr tief ins Fleisch schneiden.
    Aber irgendwann muss ich ja auf die Toilette, denkt sie, und trinken und essen. Dann muss Tamara die Fesseln abmachen.
    Wenn das Blut erst wieder frei zirkuliert, kann sie die Gegnerin mit einem gezielten Tritt oder Faustschlag außer Gefecht setzen.
    Lois fixiert die Lichtstreifen am Fenster, während ihre Gedanken sich überschlagen. Sehr wahrscheinlich kommt Tamara nachher wieder, es könnte aber auch sein, sie lässt sie einfach hier liegen. Zwei, drei Tage ohne Essen sind kein größeres Problem, aber ohne Wasser ist sie bis übermorgen ausgetrocknet. Und dann ist noch lange nicht gesagt, dass Tamara sie laufen lässt …
    Je länger sie nachdenkt, desto stärker wird ihre Panik. Unwillkürlich zerrt sie an der Handfessel, reißt sich dann aber zusammen. Sie muss ruhig bleiben, sonst hat sie verloren.
    Plötzlich fällt ihr das Auto ein, das noch in der Straße steht. Wenn sie heute nicht zum Dienst erscheint, werden die Kollegen nachforschen. An Neujahr vermisst man sie vielleicht nicht gleich in der Frühe, aber später ist hoffentlich jemand so schlau, hier zu suchen. Oder sie orten ihr Handy. Wo ist es überhaupt? Lois erinnert sich, dass sie gerade anrufen wollte, als Tamara sie niederschlug. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat diese es an sich genommen und ausgeschaltet.
    Bald hat Lois jegliches Zeitgefühl verloren. Wenn sie nur wüsste, wie spät es ist, dann könnte sie sich ausrechnen, ob man schon nach ihr sucht, und würde sich nicht so ausgeliefert und hilflos vorkommen.
    Als sie Schritte auf der Treppe hört, beschleunigt sich ihr Herzschlag. Ob Tamara ihr etwas zu trinken bringt und sie jetzt gleich ihre Chance bekommt?
    Tamara betritt den Raum, in den Händen einen Becher Tee und einen Teller mit zwei belegten Broten.
    »Haben Sie Hunger?«
    »Vor allem Durst.«
    »Tut mir leid, dass ich erst jetzt daran gedacht habe.« Sie stellt Becher und Teller auf den Nachttisch.
    »Wie viel Uhr ist es?«
    »Zehn nach neun. Konnten Sie schlafen?«
    »Nur kurz, wegen der Krämpfe in den Armen. Wenn Sie mich losbinden, wird es bestimmt gleich besser.«
    Wortlos schüttelt Tamara den Kopf.
    »Bitte, für ein paar Minuten. Die ganze Nacht hab ich mit den Händen auf dem Rücken dagelegen. Ich will nur eben mal die Arme strecken.«
    »Okay. Ich mache Sie los, damit Sie trinken und essen kön nen. Und pinkeln, ich hol gleich einen Eimer. Aber keine Tricks, verstanden, sonst bin ich gezwungen, die hier zu benutzen.« Mit diesen Worten zieht sie Lois’ Walther P5 aus dem Hosenbund. »Ich hab im Internet nachgelesen, wie man damit umgeht. Eigentlich müsste das Ding einen Sicherungshebel haben, aber bei Dienstwaffen ist das anscheinend anders. Hat sie einen starken Rückstoß?«
    »Ja.«
    »Wie fühlt sich das an?«
    »Als ob einem der Arm abgerissen wird.« Lois übertreibt schamlos, was Tamara offenbar durchschaut, denn sie lacht und verlässt dann das Zimmer.
    Schneller als erwartet ist sie wieder da und stellt einen Eimer neben das Bett.
    »Dann mache ich jetzt die Fessel ab«, sagt sie. »Aber denken Sie dran: Die Waffe ist die ganze Zeit auf Sie gerichtet. Drehen Sie mir den Rücken zu.« Sie nimmt ein Messer aus der Hosentasche und lässt es aufschnappen.
    Lois gehorcht, und Sekunden später sind ihre Hände frei. Vor Erleichterung aufseufzend, streckt sie die Arme und
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