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Was im Leben zählt

Was im Leben zählt

Titel: Was im Leben zählt
Autoren: Allison Winn Scotch
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hellroter Fleck, der den Beginn meiner Periode verkündet, und auch kein tiefrotes Malheur, das darauf hindeutet, dass ich mit der Binde eine satte Viertelstunde zu spät dran bin. Nichts. Wahrscheinlich war es nur ein Riesensturzbach Schweiß! , denke ich hoffnungsvoll.
    Die Tür zur Mädchentoilette geht schwungvoll auf, Flip-Flops laufen über die Fliesen zur nächsten Kabine. Eine Schülerin erledigt schnell ihr Geschäft, und das Geräusch der Spülung überdeckt fast ihren sofortigen Abgang. Teenager haben grundsätzlich keine Zeit, sich die Hände zu waschen. An Bakterien verschwenden sie erst gar keinen Gedanken. Teenager sind unbesiegbar. Hell und strahlend. Unverwüstlich. Teenagern gehört die Welt. Das bekomme ich tagtäglich von denen zu hören, die sich auf meine Couch plumpsen lassen. Ihre Lässigkeit strömt mir entgegen, begleitet von unbeschreiblichen Erwartungen an die Zukunft, hoffnungsvoll und lächerlich zugleich.
    Ich drücke die Binde in mein Höschen, nur zur Sicherheit, falls ich mich doch getäuscht habe, und ziehe es wieder hoch.
    Wieder öffnet sich quietschend die Tür zum Waschraum.
    «Tilly? Bist du fertig?»
    «Komme gleich, Sekunde noch.» Ich betätige anstandshalber die Spülung und werfe Susie wenig später im Spiegel ein Lächeln zu. «Nichts. Drück mir die Daumen.»
    «Bist du drüber?»
    «Nein, noch nicht, aber man kann ja nie wissen.» Ich halte die Hände unter den Wasserhahn und kühle mir die Augen, eine flüchtige Erleichterung in dieser Hitze. Dann sehe ich mein Spiegelbild an: großäugig, erwartungsvoll, absolut bereit für das, was kommen mag. Der Abschlussball. Das Musical. Das Kind, das sich vielleicht in diesem Augenblick in mir einnistet.
    «Gut. Daumen gedrückt», sagt Susanna, und ich merke, wie fertig sie aussieht, wie verändert. Noch vor einem Jahr wirkte sie wie die Schülerinnen hier: strahlend und fröhlich und voller Energie. Und jetzt? Müde, abgekämpft, wie abgestumpft. Die dunklen Augenringe, der verhärmte Zug um den Mund, der zerknitterte Rock.
    «Gehen wir.» Ich nehme meine Tasche vom Waschtisch, bis oben hin voll mit Kontaktdaten für Studienbewerbungen und potentielle Jobangebote.
    Wir durchqueren die leere Aula der Westlake High School. Inzwischen ist jeder, selbst der renitenteste Schüler, in den Nachmittag entlassen worden, ins lange Feiertagswochenende, das mit Grillfesten, Feuerwerk und kaltem Bier auf Nachbars Terrasse lockt. In diesem Augenblick aber tummelt sich die halbe Stadt auf dem Volksfest.
    Wir kommen an der Vitrine der Sportfachschaft vorbei, die vollgestopft ist mit Mannschaftspokalen, und ich erhasche einen Blick auf das Mannschaftsfoto aus Tylers Abschlussjahr. Er war der Star der Baseballmannschaft: Shortstop, Kapitän und bester Spieler um die Meisterschaft. Betrachtet man das Zeitungsfoto neben dem Pokal genauer, entdeckt man mich als Siebzehnjährige, ein euphorisches Grinsen im Gesicht, voller Stolz auf Tys Sieg, der Körper in dem Cheerleader-Kostüm noch rank und schlank. Ich mache mir dieser Tage kaum noch die Mühe, einen Blick in die Vitrine zu werfen, doch es genügt zu wissen, dass dieses Foto da ist, um glücklich zu sein.
    Susanna und ich treten durch die schweren Metalltüren ins Freie. Draußen ist es zu stickig zum Atmen. Die Sonne brennt erbarmungslos. Ich schließe die Augen und lächle ihr zu. «Oh, what a beautiful morning!»
    «Bist du noch ganz bei dir?», fragt sie mich verständnislos. «Es ist vier Uhr nachmittags.»
    Ich beginne zu summen.
    «Ach, verstehe. Oklahoma! »
    «Mit Oh, what a beautiful afternoon würde das ganze ja auch überhaupt nicht funktionieren, oder?» Ich warte darauf, dass sie ihren Minivan aufsperrt. «Auch wenn es stimmt.» Ich strahle sie an. «Es ist ein wunderschöner Nachmittag.»
    Sie verdreht die Augen.
    «Ach, komm schon», sage ich. «Das wird bestimmt lustig.»
    «Klingt eher nach Trouble with a capital T », antwortet sie trocken, steigt ins Auto und startet die Zündung.
    «Oh, ein Zitat aus Music Man ! Hätte nicht gedacht, dass du das draufhast!»
    Wir fangen beide an zu lachen, ein spontanes, befreiendes Gelächter, das uns seit Kindergartenzeiten unzertrennlich macht.
    Eine Sekunde lang überlege ich, ob ich sie nach Austin fragen soll. Ich will wissen, ob Susanna ihn jetzt wieder zurücknehmen will oder nicht, ob sie glaubt, dass sich vielleicht doch noch ein Weg findet, ihre Ehe zu retten, den Schwur zu halten. Aber sie lächelt endlich mal wieder, genießt
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