Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt
Autoren: Diane Janes
Vom Netzwerk:
nur Knabberzeug, dafür stieg mir der Alkohol sofort in den Kopf, und bereits nach kurzer Zeit war ich wesentlich besser gelaunt und stimmte in das Gelächter mit ein, das uns missbilligende Blicke seitens der Einheimischen einbrachte. Wir waren inzwischen an die Feindseligkeit gewöhnt, die unser langes Haar und die Holzperlenketten bei den meisten Männern über sechzig auslösten (hatten sie etwa im Krieg gekämpft, nur damit wir zottelig und ungepflegt in Pubs herumlungern konnten?), und unser Lachen wurde nur noch lauter. Wir waren jung und frei, die Welt gehörte uns.
    Der Pub lag schon einige Meilen hinter uns, als ich Trudies Bemerkungen zerstreut entnahm, dass sie nicht die geringste Idee hatte, wo wir waren, und ebenso wenig wusste, wohin wir fuhren. Erst als sie mit kaum mehr als
träger Neugierde fragte: »Was ist in Hereford überhaupt?«, dämmerte mir, dass wir womöglich ein echtes Problem hatten. Ich war gerade zu dem Entschluss gelangt, eine direkte Frage, wo sie abgesetzt werden wolle, sei jetzt mehr als überfällig, als der Wagen plötzlich beunruhigender als gewöhnlich zu ruckeln begann und Simon sich gezwungen sah, an den Straßenrand zu fahren.
    Trudie und ich saßen auf dem staubigen Grasstreifen, während die Jungs sich daranmachten, den platten Reifen zu wechseln. Die Dämmerung senkte sich auf uns herab, und die wenigen Wagen, die an uns vorbeifuhren, hatten die Scheinwerfer angeschaltet. Trudie begann zu summen. Wieder ein Cat-Stevens-Song  –  sie war eindeutig ein Fan.
    Ich packte die Gelegenheit beim Schopf. »Wohin willst du eigentlich genau?«
    Das Summen hörte auf. Sie hatte den Einsatz des Wagenhebers beobachtet, doch jetzt wandte sie sich mir zu. Es war bereits zu dunkel, um ihren Ausdruck erkennen zu können. »Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie. »Ich glaube, ich gehe einfach dahin, wo ihr mich hinbringt. Als ich euch am Strand sitzen sah, wusste ich sofort, dass mein Schicksal mit eurem verbunden ist. Ich bin nämlich medialistisch, weißt du. Manchmal weiß ich Sachen. Das ist eine Gabe. Ich habe sie von meiner Großmutter geerbt.«
    Ich war mir nicht sicher, ob es ein Wort wie medialistisch wirklich gab, dennoch verstand ich ihre Botschaft. Ich war diesen gerade angesagten Hellsehertypen mit ihren geheimnisvollen Gaben und Intuitionen schon öfter begegnet.
    »Ich kann aus der Hand lesen«, fuhr sie fort. »Komm  – gib mir deine Hand.« Sie streckte ihre Hand aus, und ich
fügte mich; legte meine umgedrehte Hand auf ihre langen, schlanken Finger, während mein skeptischer Verstand mir sagte, es sei viel zu dunkel, um etwas sehen zu können, selbst wenn es etwas zu sehen gäbe.
    Doch Trudie versuchte gar nicht, meine Lebenslinie zu erkennen. Stattdessen strich sie mit den Fingerspitzen ihrer freien Hand zart über meine Handfläche und sah nicht mich an, sondern den bleichen Mondsplitter, der gerade am Himmel erschienen war. Ein Kribbeln lief über meine Kopfhaut, und die dünnen Metallarmreife an meinem Handgelenk klirrten gegeneinander, umkreisten in einer Serie kaum wahrnehmbarer Vibrationen unsere Hände wie tausend winzige Glöckchen, die eine Warnung aus einer fernen Welt verkündeten. Als sie wieder sprach, war es mit einer weichen, vollen Stimme und zu leise, um für die Reifenwechsler hörbar zu sein.
    »Du hast einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester«, sagte sie. »Du bist also das mittlere Kind, was nicht leicht ist. Du magst Kinder  –  du willst mit ihnen arbeiten. Du würdest gern Lehrerin werden, aber ich kann dir nicht sagen, ob das eintreffen wird oder nicht. Irgendetwas steht dir im Weg  –  irgendein Hindernis –, es liegt an dir, ob du es überwindest oder nicht.«
    So viel zu diesem Thema, dachte ich. Da wir stundenlang über alles Mögliche gequatscht hatten, waren mir wahrscheinlich irgendwelche Hinweise auf meine Familie und meine Lehrerausbildung entschlüpft.
    »Ich nehme an, du willst etwas über dein Liebesleben erfahren.« Ich glaubte, in ihrer Stimme eine Spur von Boshaftigkeit wahrzunehmen. »Das interessiert die Leute immer.«
    Meine Hand war warm unter ihrer Berührung; der
Druck ihrer Finger war zu einer Liebkosung geworden. »Danny ist deine erste große Liebe  –  aber es wird nicht von Dauer ein.«
    »Das reicht«, sagte ich ziemlich scharf und zog meine Hand weg.
    Trudie schien nicht beleidigt zu sein. Sie behielt ihren träumerischen Ton bei. »Da war noch etwas. Etwas Dunkles, das ich nicht deuten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher