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Was ich dich traeumen lasse

Was ich dich traeumen lasse

Titel: Was ich dich traeumen lasse
Autoren: Franziska Moll
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und aus der Wohnung gerannt. Es war einfach Zeit, mich selbst zu überholen.
    Ich kam eine Dreiviertelstunde zu spät, aber du warst noch da. Dein Laptop stand aufgeklappt auf dem Tisch, sein Licht strahlte dein Gesicht an, sodass ich dich zwischen all den Menschen sofort finden konnte.
    Du fragtest nicht, wieso ich mich verspätete. Du sagtest: »Auf dich zu warten, war so ziemlich das Aufregendste, das mir je zugestoßen ist. Adrenalin pur. Da kann Afrika echt nicht mithalten.« Und dann: »Setz dich.«
    Und ich setzte mich.
    * * *
    Es regnet. Das hat es seit Tagen nicht. Jetzt sieht es aus, als wollte der Himmel alles ertränken. Meine Mutter zieht die Kapuze über den Kopf. Ich habe keine. Der Regen braucht nur wenige Sekunden, um meine Haare zu durchweichen. Er ist kalt. Er läuft in den Ausschnitt, rinnt den Rücken herunter, sammelt sich als kleiner Bach, um meine Poritze herunterzulaufen. Als wollte er den Weg weisen, um alles zu erklären. Aber niemand verfolgt seinen Fluss.
    Ein Krankenwagen biegt in die Einfahrt, fährt durch eine Pfütze, groß wie ein See, durchtränkt auch noch den letzten trockenen Rest von mir.
    .In so einem Ding möchte ich es mal machen.
    .Wieso das denn?
    .Weiß nicht. Weil alles drin ist. Ein Bett. Sauerstoffflasche für danach.
    .So verausgaben willst du dich?
    .Logo. Bis der Arzt kommt. Ach, ne, der ist ja dann schon da.
    .Also, was dich anmacht, ist sterile Umgebung, jede Menge Foltergeräte und ein Typ im weißen Kittel.
    .Dich nicht?
    Â»Komm schon, Mama.« Es sind nur hundert Meter bis zur U-Bahn. Der Regen hat die Treppen in den Schacht in einen Wasserfall verwandelt. Meine Mutter krallt sich an mir fest. Am Gleis fluchen die Menschen und schütteln sich wie nasse Hunde. Meine Mutter wischt sich mit dem Handrücken über die Nase. Ein feiner Faden Schleim zieht sich, bis er zerreißt.
    Â»Weinst du immer noch?«
    Â»Natürlich weine ich!« Sie wühlt in ihrer Tasche herum und holt die Zigaretten heraus, steckt eine an, inhaliert sekundenlang, bevor sie einen winzigen Rest Rauch wieder herauslässt.
    Â»Sie dürfen hier nicht rauchen«, sagt ein Mann.
    Â»Ich rauche aber, wie Sie sehen.«
    Â»Da steht ein Schild, Rauchen verboten.«
    Â»Das ist mir so was von …«
    Â»Mama!«
    Â»Ich habe gerade erfahren, dass mein Schwiegersohn im Koma liegt. Und Sie wollen mir erzählen, was ich darf oder nicht darf.«
    Schwiegersohn.
    Der Mann zuckt zusammen, neigt den Kopf, entschuldigt sich, flieht. Meine Mutter schluchzt.
    Â»Mama!« Ich schaue mich um. Alle gucken.
    Â»Ja und? Es kann ja nicht jeder so wie du …«
    Die Bahn kommt. Sie zerreißt den Satz mit dem Schrillen der Bremse. Menschen strömen heraus. Menschen strömen herein. Sie nehmen uns mit. Die Fenster sind beschlagen, die Luft ist wie eine Wand. Zu viele nasse Mäntel und Haare. Es gibt keine Sitzplätze mehr. Wir stehen.
    Â»Hör auf«, sage ich.
    Â»Ich kann nicht.« Meine Mutter fährt sich wieder mit dem Handrücken über das Gesicht. »Wie kannst du nur so beherrscht sein.«
    .Mit dir würde ich gerne auf einer einsamen Insel stranden.
    .Um den ganzen Tag Sex zu haben, bis die Rettung kommt?
    .Das auch.
    .Und warum noch?
    .Du würdest die Ruhe bewahren.
    .Aha.
    .Ich würde wahrscheinlich erst mal wie ein Irrer rumagieren. Würde auf der Stelle Flöße bauen, die nicht schwimmen. Witze machen, Marke: Ich bin dein Freitag! Heulen, weil ich das DFB-Finale verpasse. Aber du, du würdest einen klaren Kopf behalten, nicht durchdrehen. Du würdest sagen, halt die Klappe, und mich losschicken zum Holzsammeln, zum Kokusnüssepflücken.
    .Du meinst also, ich funktioniere wie ein Roboter.
    .Nein, wie ein Mensch. Der beste Mensch, den ich kenne. Du wärst fokussiert auf das Wichtigste: Überleben.
    Jetzt ist doch ein Platz frei geworden. Ich schiebe meine Mutter darauf. Eine Frau gibt mir ein Taschentuch, das ich an meine Mutter weitergebe. Sie schnieft und lehnt den Kopf an die Scheibe. Das Taschentuch liegt geöffnet in ihrer geöffneten Hand. Man kann alles sehen. So bleibt sie, bis wir ankommen.
    Ich schiebe sie in ihr Zimmer, ziehe ihr die Sachen aus, lege sie ins Bett. Sie versinkt zwischen pinkem Bettzeug und den Stofftieren, die eins nach dem anderen umkippen und über ihren Kopf rollen, als sie sich dreht. Sie hat mir den Rücken zugewendet, nimmt
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