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Was Die Liebe Naehrt

Was Die Liebe Naehrt

Titel: Was Die Liebe Naehrt
Autoren: Anselm Gruen
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ohne
     Behinderung durch starke Einflussnahme der Gesellschaft verwirklichen kann. Aber solche Freiheit hat auch Schattenseiten. Die Energie des Einzelnen
     konzentriert sich auf die Entfaltung des eigenen Lebens. Der andere wird in erster Linie als einer gesehen, der mir nützt oder schadet. Im positiven Fall
     ist er jemand, der mir helfen kann, mein eigenes Potenzial zu entwickeln. Er wird instrumentalisiert, das heißt: nur zur eigenen Selbstverwirklichung
     benutzt. Auf der anderen Seite bleibt der Mensch ein soziales Wesen. Er sehnt sich nach Beziehung. Aber die Individualisierung hat ihn weggeführt von den
     Menschen. Der Weg zu einer Beziehung ist also weiter als früher. Wenn in früheren Zeiten das Dorf eine Gemeinschaft bildete, fühlte man sich
     geborgen. Sicher war eine solche Gemeinschaft oft auch einengend. Heute ist nicht nur dieEinengung weggefallen, sondern mit ihr auch die
     Geborgenheit. Zugleich entdecken wir heute eine zunehmende Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Zu jemand, zu etwas zu gehören, ist auch im Zeitalter des
     Individualismus ein unausrottbares Bedürfnis. Für junge Menschen ist es lebensentscheidend, dass sie sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Dabei machen sie
     sich oft wieder abhängig. Es ist nicht selten dann keine Zugehörigkeit im Sinne einer reifen Beziehung, sondern oft genug ein Aufgeben der eigenen
     Identität zugunsten der Gruppenzugehörigkeit. Diese Sehnsucht nach Zugehörigkeit steht manchmal auch zu Beginn einer Freundschaft zwischen Jungen und
     Mädchen. Dann wird der andere dazu gebraucht, um der eigenen Einsamkeit zu entkommen. Aber in einem Klima des Brauchens und des Habens kann keine wirklich
     tiefe Beziehung wachsen.
Das Paradox der vielen Möglichkeiten
    Der Soziologe Sven Hillenkamp spricht in einem Essay zugespitzt vom »Ende der Liebe«. Seine Beobachtung: Unsere Gesellschaft bietet
     ihren Mitgliedern scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten, einander zu begegnen. Die Freiheit, Beziehungen einzugehen, ist gegenwärtig so groß wie nie. Und
     trotzdem ist die Fähigkeit zur Liebe damit nicht gewachsen, sondern so gefährdet wie nie. Erstaunlich genug: Gab es früher festgefahrene kulturelle oder
     unüberwindliche gesellschaftliche Unterschiede und Grenzen, so spielen sie heute keine entscheidende Rolle mehr. Frauensind anders als
     in früheren Zeiten durch ihre Berufstätigkeit in die Gesellschaft integriert. Mobilität, räumlich und sozial, ist heute selbstverständlich. Auch die
     Technik ist mit im Spiel. Die computergestützte Partnervermittlung über das Internet ist gebräuchlich. Ja, sie ist so verbreitet, dass sie zu einer
     gewinnträchtigen Industrie geworden ist. Alle gesellschaftlichen Schichten werden davon erreicht, einfache Leute ebenso wie Akademiker. Eine größtmögliche
     und zielgerichtete Auswahl von Sex- und Lebenspartnern wird durch Vorauswahl erleichtert bzw. ermöglicht. Millionen Suchende lassen sich in Datenbanken –
     wie in Katalogen – registrieren. Die unverbindlichen Möglichkeiten, Beziehungen zu einer schier unendlichen Zahl von »Wunschpartnern« aufzunehmen,
     scheinen unbegrenzt.
    Doch ist das kein sicherer Weg zum Liebesglück. Und es steigt gleichzeitig auch die Zahl der Trennungen. Immer mehr Partner trennen sich immer
     schneller. Und die ständige Suche ist bei vielen zu einem ausgesprochenen Suchtverhalten geworden. Die Sehnsucht nach dem »idealen Partner« verführt sie
     zur Sucht. Sie müssen es immer neu »probieren«. Und oft suchen sie auch noch weiter, wenn sie schon einen Partner gefunden haben. Sie werden diesen
     »idealen« Partner aber nie finden. »Sie sind auf einer endlosen Suche nach etwas Besserem, einem Besseren«, sagt Hillenkamp. Die unbegrenzten
     Möglichkeiten führen diese Menschen nicht zum Glück. Mit den scheinbar unendlichen Wahlmöglichkeiten werden sie ihrer unendlichen Sehnsucht nicht
     gerecht.
Der Tempodruck der Welt
    Die Ansprüche der Konsumgesellschaft, aber auch die der Wirtschaftswelt mit ihrem Effizienzdruck sind nicht dazu geeignet,
     Beziehungsqualität zu fördern. Wenn Menschen sich nahekommen wollen, geht das nicht zweckgerichtet und hektisch. Das Miteinander braucht Pflege – und das
     heißt: Zeit. Viele, die Führungsaufgaben in einer Firma innehaben, erzählen mir, dass sie gar keine Zeit mehr für menschliche Beziehungen haben. Sie sind
     so eingespannt in die immer mehr verdichtete Arbeit, dass kaum Raum bleibt, eine Beziehung zu pflegen oder eine
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