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Was Die Liebe Naehrt

Was Die Liebe Naehrt

Titel: Was Die Liebe Naehrt
Autoren: Anselm Gruen
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machen. Sie übertragen die Unzuverlässigkeit, die sie beim alkoholkranken Vater gespürt haben, auf Gott:
     Auf ihn kann man sich genauso wenig verlassen wie auf den Vater. Also wagt man gar nicht, sich auf ihn einzulassen. Und da sie unsicher sind, wer sie
     eigentlich sind, wissen sie nicht, wen sie in die Begegnung mit Gott schicken sollen. Sie haben Angst, sich in ihrem inneren Chaos der Wirklichkeit Gottes
     auszusetzen. Denn dann würden sie sich ja auch selbst begegnen. Unddiese Selbstbegegnung wäre zu schmerzlich. Sie würde all das Unklare,
     Chaotische und Unangenehme in der eigenen Seele offenbaren.
    Für mich gilt als Grundsatz: Wenn ich mich selbst nicht spüre, kann ich auch Gott nicht spüren. Wenn ich nicht mit allem, was in mir ist, in Beziehung
     stehe, kann ich auch nicht in eine echte Beziehung zu Gott kommen. In der Beziehung zu Gott ist es nicht anders als in jeder anderen Beziehung, die wir
     eingehen: Wir sind im Ganzen gefordert. Wir können auch hier nicht nur unsere starken Seiten mitbringen und all die Seiten, die wir in uns selbst nicht
     anschauen möchte, aus der Beziehung zu Gott heraushalten. So kann keine Beziehung wachsen. Dann bin ich nur halb anwesend. Es kann nichts strömen zwischen
     Gott und mir. Beziehung verlangt also auch hier, dass ich alles in die Beziehung einbringe.
    Wir wissen: Wenn ich nur mit meinem Kopf anwesend bin, wächst keine Beziehung, sondern höchstens ein interessanter Gedankenaustausch. Mit allem, was in
     mir ist, Beziehung aufzunehmen, das verlangt Ehrlichkeit und zugleich Demut. Denn ich muss mich von meinem Idealbild verabschieden und mich so annehmen
     und spüren, wie ich bin. Oft hat die Beziehungslosigkeit ihren Grund also darin, dass wir mit Vielem gar nicht in Beziehung treten wollen, weil es unserem
     Idealbild nicht entspricht, weil wir Angst haben vor der eigenen Menschlichkeit und Durchschnittlichkeit.
    Andere tun sich schwer mit ihrer Beziehung zu Gott, weil sie »Beziehung« mit Gefühlen identifizieren. Sie wollen die Beziehung zu Gott spüren. Sie
     wollen die Gefühle,die sie einmal als Kind oder als Jugendlicher bei einem Gottesdienst oder an einem Weihnachtsfest hatten, noch einmal
     erleben. Sie beklagen sich, dass die Beziehung zu Gott leer geworden ist, dass sie nichts mehr spüren, wenn sie beten.
    Die Beziehung zu Gott kann sich zwar in Gefühlen ausdrücken und in ihnen erfahrbar werden. Aber sie ist mehr als Gefühl. Sie ist da, auch wenn ich sie
     nicht spüre. So wie die Beziehung zu einem Freund immer besteht, auch wenn ich nicht an ihn denke oder gerade keine besonderen Gefühle habe. Die Beziehung
     zu Gott hat etwas mit Bindung und Treue zu tun. Ich bin bei allem, was ich tue und denke, auf ihn bezogen. Ich rechne mit ihm. Ich stelle mir vor, dass
     ich vor seinen Augen und in seiner Gegenwart lebe. Diese Gegenwart erlebe ich aber nicht immer als lebendig, sondern manchmal auch als leer, oder ich
     erfahre Gott als abwesend. Dennoch weiß ich, dass er da ist. Und ich beziehe mich auch in einer solchen Situation und Erfahrung auf ihn. Ich laufe nicht
     vor ihm davon. Aber ich setze mich auch nicht unter Druck, bestimmte religiöse Gefühle haben zu müssen.

Unsere Beziehungen und unser Gottesbild
Gottesbild und Selbstbild
    Wenn wir über Beziehung und Spiritualität nachdenken, stellt sich schnell die grundsätzliche Frage nach dem Zusammenhang von
     Menschsein als personaler Beziehung und einem personalen Gottesbild. Dass Gottesbild und Selbstbild einander korrespondieren, ist eine Erfahrung, die ich
     in der geistlichen Begleitung immer wieder mache. Der Zusammenhang ist so einfach wie für den Einzelnen folgenreich: Wenn einer ein strafendes Gottesbild
     hat, hat er oft in sich auch eine Selbstbestrafungstendenz. Wenn er Gott als den kontrollierenden Gott erfährt, dann hat er oft in sich die Tendenz, sein
     Verhalten und seine Gefühle ständig unter Kontrolle zu halten. Auch die Frage nach der personalen oder apersonalen Gottesvorstellung und dem Selbstbild
     bzw. dem Bild des Partners taucht in diesem Zusammenhang auf und hat nicht selten Auswirkungen in der Beziehung.
    Vor ein paar Jahren haben mich Psychologen zu einer Tagung eingeladen, um von mir als Theologen etwas über die christliche Spiritualität zu
     hören. Viele von ihnen hatten im Buddhismus gesucht, weil sie in ihrer christlichen Erziehung oft genug verletzt worden waren. Sie haben sich dagegen
     gewehrt, ständig als Sünder angesprochen zu werden.
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