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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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höflich sie sich voneinander verabschiedeten, waren sie doch noch vor wenigen Sekunden versucht gewesen, sich zu schlagen.
    »Ist Dr. Yul Kim da?«, fragte Soo-Ja mit kaum hörbarer Stimme die Sprechstundenhilfe am Tresen. Die Praxis, die mit Tuschezeichnungen an den Wänden geschmückt und mit niedrigen braunen Lederstühlen ausgestattet war, schien viel größer als die in Pusan. Draußen vor der Tür wartete Hana auf Soo-Ja.
    »Darf ich um Ihren Namen bitten?«, fragte die junge Frau geschäftsmäßig. Sie saß – wie bei einem Bankschalter – hinter einem halb geöffnetem Fenster.
    »Mein Name ist Soo-Ja Choi.« Mit klopfendem Herzen strich sie sich das Kleid glatt und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. In ihrem Inneren wirbelten die Gefühle nur so durcheinander, wie bunte Schmetterlinge, die wild herumflogen und sich dabei die Flügel brachen.
    Die Sprechstundenhilfe schaute auf ihre Liste. »Sind Sie eine Patientin? Haben Sie einen Termin?«, fragte sie, ohne aufzusehen.
    Soo-Ja hörte einen nordkoreanischen Akzent bei der Frau heraus. »Nein, ich bin eine Freundin von ihm. Ich würde ihn einfach gerne sehen.« Soo-Ja spürte, wie die Aufregung in ihr hochstieg. Sie hatte all ihren Mut zusammennehmen müssen, um Yul aufzusuchen – hätte Eun-Mee ihr nicht einen Besuch abgestattet, wäre sie gar nicht gekommen. Eun-Mees Überfall hatte sie ziemlich aufgewühlt. Zwar musste sie Yul noch immer das Geld zurückzahlen, und dieses Ziel lenkte vordringlich ihre Schritte, aber zugleich fühlte sie sich von einer unwiderstehlichen Kraft angezogen.
    »Dr. Kim ist im Pausenraum. Wir geben gerade eine kleine Feier für ihn«, erklärte die Sprechstundenhilfe.
    »Eine Feier?«, wiederholte Soo-Ja verwirrt. Er hatte doch nicht Geburtstag.
    »Wir sind sehr traurig, dass er nächste Woche wieder nach Pusan geht«, erklärte die Frau. Jetzt taute sie ein wenig auf. »Sind Sie hier, um sich von ihm zu verabschieden?«
    »Pusan?« Soo-Ja musste sich die Hand über den Mund legen, um ihre Reaktion zu verbergen. Die Sprechstundenhilfe hätte genauso gut sagen können, er fahre auf den Mars oder nach Russland. Das musste ein Missverständnis sein!
    »Ich werde ihn sehr vermissen«, sagte die junge Frau mit einem Lächeln. »Er ist einer von den Netten. Wie schade, dass er nicht bei uns bleibt.«
    »Könnten Sie ihm bitte ausrichten, dass ich auf ihn warte?«
    Die Sprechstundenhilfe sah Soo-Ja besorgt an, und Soo-Ja entdeckte ihre eigene Aufgeregtheit im Gesicht der anderen Frau wie in einem Spiegel. Sie wusste nicht, ob die Sprechstundenhilfe ahnte, warum sie gekommen war, aber das tat nun auch nichts weiter zur Sache. Die junge Frau erhob sich und deutete auf die Tür zum Behandlungszimmer. Dabei verbeugte sie sich. Soo-Ja war gerührt, dass die Frau sie einließ, ohne ihr weitere Fragen zu stellen oder sie länger warten zu lassen.
    Im Behandlungszimmer zog Soo-Ja den Umschlag aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch, sodass die Seite mit Yuls Namen nach oben zeigte. Sie wusste nicht, ob sie stehen bleiben oder sich wie eine Patientin auf einen Stuhl setzen sollte. Zögernd stand sie da und traute sich nicht, einen weiteren Schritt in das Zimmer zu machen. Sie starrte die Liege an und stellte sich die vielen Männer und Frauen vor, die Yul aufsuchten. So viele kranke Menschen. Soo-Ja dachte daran, was Yul den ganzen Tag über tat: Er hörte sich die Sorgen und Nöte seiner Patienten an.
    Er betrat das Zimmer nur wenige Sekunden nach ihr. Vermutlich war er sofort zu ihr geeilt, als er ihren Namen hörte. Sie nahm das als ein gutes Zeichen. Er hätte sie ja auch hinhalten oder gar nicht erst empfangen können. Sobald sie ihn sah, spürte sie ein Prickeln auf der Haut, das sich rasch über ihren ganzen Körper ausbreitete. Er war so schnell in das Zimmer gestürzt, dass die unteren Zipfel seines weißen Kittels flatterten, und so außer Atem, dass man den Eindruck gewinnen konnte, er wäre meilenweit weg gewesen und nicht bloß im Zimmer nebenan.
    Yul schloss die Tür hinter sich und schien sich – ebenso wie sie selbst kurz zuvor – zu fragen, ob er stehen bleiben oder sich setzen sollte. Soo-Ja versuchte, Ruhe auszustrahlen, und setzte sich auf den Patientenstuhl, sodass Yul seinen gewohnten Platz ihr gegenüber einnehmen konnte. Dabei streiften seine Knie leicht über ihre Beine.
    Yul bemerkte den Umschlag sofort. »Was ist das denn?«
    »Das Geld, das ich dir schulde«, sagte Soo-Ja.
    Yul nickte. »Bist du nur
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