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Was dein Herz nicht weiß

Was dein Herz nicht weiß

Titel: Was dein Herz nicht weiß
Autoren: S Park
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Stunden zuvor gesehen hatte, sondern hier: in einem geisterhaften Haus, in dem das Unglück sich auf den Möbeln ablagerte wie der Staub.
    Sie ging die Treppe hinauf ins Esszimmer, das in eine Art Multifunktionsraum umgewandelt worden war, mit einem zweiten Kühlschrank, einer alten Ledercouch, einem Farbfernseher und einem runden weißen Plastiktisch, den man an die Wand geschoben hatte. Der Schwiegervater thronte in seinem Sessel und wartete auf sie, einen Rückenkratzer in der Hand, den er immer wieder leicht gegen das Knie tippte, als wollte er damit die Zeit messen. Ein paar Meter entfernt hockte die Schwiegermutter auf dem Boden, den Rücken gegen die Couch gelehnt, eine Decke auf dem Schoß, an der sie arbeitete. Min und Hana saßen auf der Couch und taten, als würden sie fernsehen, aber der Ton war viel zu leise eingestellt, als dass sie etwas hätten verstehen können. Als Soo-Ja sich gegenüber dem Schwiegervater niederließ, wusste sie genau, dass die anderen ihre Beschäftigungen nur vortäuschten und gespannt auf die Unterhaltung warteten, wie menschliche Requisiten, die ihren Einsatz in einer wichtigen Szene herbeisehnten.
    »Ich möchte eine Sache klarstellen. Du bist hier nicht im Urlaub, sondern zum Arbeiten«, sagte der Schwiegervater. »Morgen früh fängst du an, Punkt sechs. Es wird ein langer Tag werden, zwölf Stunden. Du kannst eine kurze Mittagspause machen, zwanzig Minuten, aber wenn ein Kunde kommt, lässt du das Essen stehen und bedienst ihn. Die Arbeit ist nicht leicht. Wir verkaufen en gros, das heißt, du musst zehn Kilo Kleidung tragen können. Den ganzen Tag lang. Aber ich will keine Klagen hören. Ist das klar?«
    »Ja, Vater«, antwortete Soo-Ja. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Min und Hana den Kopf gesenkt hatten. Sie sprach also für alle drei.
    »Wenn dir das nicht passt, hast du Pech gehabt. Versuch mal, in einem amerikanischen Laden einen Job zu kriegen. Du kannst kein Englisch und riechst nach Kimchi. Denk daran, du hast nichts zu bieten. Du kannst froh sein, dass ich Arbeit für dich habe. Da draußen gibt es viele Menschen, die hungern müssen. Wenigstens wirst du immer einen vollen Magen haben.«
    »Ja, Vater. Danke, Vater«, sagte Soo-Ja.
    »Wir sind nicht durch Faulheit reich und erfolgreich geworden. Wir haben Opfer gebracht und hart gearbeitet.«
    »Ich weiß, Abeonim«, erwiderte Soo-Ja und dachte an das Geld, das er ihrem Vater abgenommen hatte.
    »Denk auch daran«, fuhr er fort und änderte seinen Tonfall zu dem eines gütigen Patriarchen, »dass ich nicht ewig leben werde. Wenn ich sterbe, erbt ihr das Haus und das Unternehmen. Du siehst also: Du arbeitest nicht für mich, sondern für dich selbst. Darum werde ich dich auch nicht bezahlen.«
    »Danke, Vater.« Soo-Ja wusste bereits, dass der Schwiegervater alles seiner Tochter Na-yeong vererben würde. Sie und Min würden nichts bekommen. Sie kannte den Schwiegervater inzwischen so gut, dass sie sofort merkte, wenn er log – nur dann lächelte er nämlich.
    »In der Vergangenheit hast du mir viele böse Worte gesagt, aber ich vergebe dir. Ich vergebe dir, weil ich jetzt in einem schönen Haus lebe und viel Geld habe, und das ist so gekommen, weil ich ein guter Mensch bin. Du dagegen hast noch viel zu lernen, aber ich kann dir beibringen, wie du eine bescheidene, gehorsame Schwiegertochter wirst.«
    Soo-Ja drehte sich zu Min um. Sie erwartete, Siegesfreude in seinen Augen zu sehen, fand aber nur Kummer. Darum zitterte ihre Stimme leicht, als sie einmal mehr sagte: »Ja, Vater.«
    Der Schwiegervater entließ sie mit einem Kopfnicken.
    Hana ging ins Bad der kleinen Wohnung, um zu duschen, und Soo-Ja und Min waren allein. Ahnungsvoll blickten sie sich in die Augen, weil sie spürten, am Anfang eines neuen Lebensabschnitts zu stehen. Es wäre leicht, dem vorgezeichneten Weg zu folgen, in Amerika zu leben und für Mins Eltern zu arbeiten. Alles würde seinen gewohnten Gang gehen. Doch irgendetwas lag in der Luft, das sich nicht richtig anfühlte. Und es schien von Min auszugehen. Soo-Ja erinnerte sich an seinen gequälten Gesichtsausdruck während ihrer Unterhaltung mit seinem Vater. Es hatte ihn geschmerzt zu sehen, wie sie von ihm gedemütigt wurde.
    »Warum hast du das gemacht?«, fragte Min schließlich vom Bett aus.
    Das einzige andere Geräusch abgesehen von seiner Stimme kam aus dem Bad nebenan, wo das Wasser rauschte.
    »Was gemacht?«, fragte Soo-Ja, die sich an den Kissen und Decken im Schrank zu schaffen
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