Was danach geschah
bleiben und nicht Schutz unter Deck suchen.
Unter mir höre ich ein Durcheinander von Geräuschen ängstlicher Tiere, eines gesamten Zoos unter einem Dach. Bei jedem Wellenschlag werden die Schreie lauter, aber es dringen auch andere, schrecklichere Laute zu uns vor, lang anhaltende Schreie und Klagelaute, die nicht aus dem Schiff stammen und lauter sind als Wind und Donner und Tiere zusammen. Es sind die furchtbarsten Schreie, die ich je gehört habe, und sie treffen mich bis ins Mark.
»Was ist das?«, frage ich.
Elymas deutet mit seinem knorrigen Finger über den Bootsrand hinweg. Die Wolken heben sich gerade so weit, dass die schwachen Sonnenstrahlen das aufgewühlte Meer bis zum Horizont beleuchten. Überall um uns herum, so weit ich sehen kann, ist das Wasser mit aufgedunsenen Tieren und Menschen übersät. Mit jeder Welle krachen und schrammen sie gegen den Rumpf der Arche. Diejenigen Menschen, die in diesem Meer noch leben, benutzen die Toten als Floß, klammern sich an den Leichen ihrer Mütter und Väter, Söhne und Töchter, flehen um Gnade und Vergebung in mir völlig unbekannten Sprachen. Ich muss würgen, weil der Gestank von moderndem Fleisch unerträglich wird.
Eine Luke öffnet sich, und ein alter Mann, verwittert, mit grauem Bart und völlig mitgenommen, klettert heraus, gefolgt von einem jungen Mann und dessen Frau. Entsetzt betrachten sie das Gemetzel auf dem Meer.
»Schnell! Schnell!«, ruft der junge Mann. »Wir müssen so viele retten, wie wir können! Sie dürfen nicht untergehen!«
Der junge Mann und seine Frau rennen über das Deck und greifen zu Seilen, doch der alte Mann befiehlt ihnen, stehen zu bleiben.
»Nein!«, ruft er. »Sie haben sich entschieden, und für ihre Entscheidungen wurden sie verurteilt. Nur wir wurden für rechtschaffen befunden. Nur wir werden gerettet werden.«
Die Frau des jungen Mannes sinkt vor dem alten Mann auf die Knie. »Oh, bitte, Vater, bitte, lass uns ihnen helfen!«, fleht sie. »Wir ertragen ihr Leiden nicht. Es sind doch Menschen wie du und ich, und sie haben Recht und Unrecht getan wie du und ich. Mit Sicherheit verstehst du das. Du allein, Vater, wurdest für rechtschaffen befunden, und die Rechtschaffenen, Vater, müssen mit den Elenden Mitleid haben. Unser Schiff ist groß, und ein paar hundert oder tausend könnten wir retten. Bitte, Vater, wir müssen es versuchen!«
»Schaff sie fort!«, befiehlt der Alte. »Schaff sie mir sofort aus den Augen, oder ich werde sie zu den anderen werfen. Ich höre ihre Schreie nicht. Die Zeit zum Weinen ist vorbei.«
Voller Hass funkelt der Sohn seinen Vater an, gehorcht aber und führt seine Frau wieder nach unten. Der Alte blickt wieder übers Meer, dann hinauf zum Himmel. Der peitschende Regen auf seinem Gesicht sieht aus wie Tränen. Schließlich steigt auch er wieder durch die Luke nach unten und verschließt sie sicher hinter sich. Wie ein mit süßen Ölen und Gewürzen vollgesaugtes Leichentuch legen sich die Wolken über das Meer, drücken die stinkende Luft in die Wellen und dämpfen das Stöhnen und Schreien. Noch hundertfünfzig Tage lang schlagen und schrammen die Körper gegen den Schiffsrumpf.
Dann zieht sich das Wasser zurück.
Elymas und ich waren da, als Noah den Raben und die Taube losschickte, und wir waren da, als die Taube mit einem Olivenzweig zurückkehrte. Noah und seine Familie waren die einzigen Menschen an Bord der Arche, und sie waren die einzigen Menschen, die vom Boot stiegen, als es auf dem Berg Ararat aufsetzte. Keiner aus dem Meer war gerettet worden.
Noah baute einen Altar und brachte Jahwe an diesem Tag ein Opfer dar, und an diesem Tag war Jahwe sehr erfreut. Jahwe segnete Noah und seine Söhne und wollte, dass sie die Erde neu bevölkerten. Als Jahwe das brennende Fleisch von Noahs Opfer roch, versprach er, die Erde nie wieder durch eine Flut zu vernichten. Zum Zeichen seines Versprechens wölbten sich Regenbögen quer über den Himmel.
Nachdem wir all dies gesehen hatten, wandte sich Elymas zu mir. »Luas klagte Noah an, ein Feigling zu sein«, erklärte er. »Aber jetzt kennst du die Wahrheit, Brek Cuttler. Weniger standhafte Menschen hätten gezögert, doch Noah hatte kein Erbarmen mit der Menschheit. Die Geschichte handelt nicht von Liebe, sondern von Gerechtigkeit.«
Ganz plötzlich befand ich mich wieder im Wäldchen hinter Nanas Haus auf dem Weg zum Bahnhof in Schemaja. Elymas war fort. Ich war wieder eine junge Frau, trug wieder mein schwarzes Kostüm mit den
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