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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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lauter.
    –   Es könnte Proteste geben!
    Er guckt mich an, dann nickt er. Schließlich fragt er, ob ich Lawrence Summers kenne. Nee, nie gehört. Will ich aber nicht zugeben. Diese Oberlehrer-Nummer ist mir ein bißchen zu blöd. Ich nicke und mache ein nachdenkliches Gesicht.
    –   Summers war Anfang der neunziger Jahre Chefökonom der Weltbank. Und vor der UN -Konferenz in Rio im Jahr 1992, auf der es um nachhaltige Entwicklung ging, hat er sich ein paar Gedanken gemacht. Es ging um Giftmüll. Summers wollte die internationale Müllentsorgung verbessern. Die erschien ihm ineffizient, und er sah da ein paar bis dahin unentdeckte Sparmöglichkeiten. Es ging vor allem um Gesundheitsschäden aufgrund der Verschmutzung.
    Wörtlich hieß es in Summers’ Ausführungen, die ich später nachlese: »Die Kosten gesundheitsschädigender Verschmutzung bemessen sich nach den entgangenen Einnahmen durch erhöhte Krankheit und Sterblichkeit. So gesehen sollte die Verschmutzung in dem Land mit den geringsten Kosten stattfinden.« Nach Summers’ Logik, also der Logik des damaligen Chefökonomen der Weltbank, sollte die Verschmutzung demnach nicht in einem wohlhabenden Land stattfinden, weil dort die Lebenserwartung vergleichsweise hoch ist. In reichen Ländern ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Langzeitfolge der Verschmutzung zu erkranken und zu sterben, schließlich wesentlich höher als in einem Entwicklungsland, weil die Leutein einem Entwicklungsland in der Regel schon viel früher an irgend etwas anderem sterben – zum Beispiel an Mangelernährung oder banalen Krankheiten. Deswegen gehen in der Dritten Welt auch nicht so viele gesunde Lebensjahre und die entsprechenden volkswirtschaftlichen Gewinne verloren. Summers’ Erkenntnis lautete also: »Die ökonomische Logik, eine Ladung Giftmüll in dem Land mit den niedrigsten Löhnen loszuwerden, ist untadelig.« Und: »Ich war schon immer der Meinung, daß«, so zitierte ihn die Weltwoche , »Länder in Afrika deutlich unterverschmutzt sind.«
    –   Ökonomisch war das alles präzise berechnet.
    Sagt Scheer.
    –   Die Menschen in der Dritten Welt haben einen geringeren monetären Wert, deswegen ist es auch nicht so schlimm beziehungsweise sogar ökonomisch geboten, unseren Dreck dort abzuladen.
    Scheers Ironie kommt sehr trocken. Als Summers’ Überlegungen, die eigentlich für den internen Gebrauch der Weltbank bestimmt waren, publik wurden, gab es zwar Proteste, aber seiner Karriere hat das nicht geschadet. Bill Clinton machte ihn zwei Jahre später zum Finanzminister. Später wurde Summers Präsident der Harvard University. Barack Obama wiederum ernannte ihn zum Direktor des Nationalen Wirtschaftsrates und soll sogar lange überlegt haben, Summers wieder als Finanzminister zu berufen. Ende 2010 kehrte er auf seine Professorenstelle nach Harvard zurück. Scheer steckt sich eine Zigarette an.
    –   Diese ökonomische Logik dringt immer mehr in unsere Gedankenwelt. Jede Handlung wird durchkalkuliert. Der Beitrag jedes einzelnen zum Bruttosozialprodukt wird berechnet. Und damit verlassen wir den Bereich der Menschenrechte.
    Scheer füllt seine Lungen mit Nikotin. Anders ausgedrückt: Er verschlechtert seine persönliche Emissionsbilanz.
    –   Die Monetarisierung von Menschen droht – soweit sie nicht schon längst vorgenommen wird –, weil grundsätzlich immer und überall mehr monetarisiert wird. Man kann ja alles berechnen. Mit Computern sogar noch viel leichter. Grundnormen unserer Gesellschaft werden unter den Vorbehalt ökonomischer Berechnungen gestellt. Das Normengefüge, das Wertsystem ist aber das Grundgerüst unserer Gesellschaft. Es prägt unsere Kultur. Und wenn es von diesen ökonometrischen Ansätzen zersetzt wird, dann weiß ich nicht, wie man Gesellschaft organisieren soll. Das hat doch schon Aristoteles gesagt: Ohne Recht und Gesetz ist der Mensch das Schlimmste aller Raubtiere. Und irgendwann werden in letzter Konsequenz die Rentner umgebracht, weil die ja nur noch Kosten verursachen. Zuerst sind die Rentner dran, die keine Familie haben.
    –   Warum denn zuerst die Rentner ohne Familie?
    –   Weil es da weniger Protest gibt.
    Logisch.
    –   Erinnern Sie sich an die Geschichte von Philipp Mißfelder?
    Ja, an den erinnere ich mich tatsächlich. Mißfelder ist der Chef der Jungen Union. 2003 sagte er in einem Zeitungsinterview: »Ich halte nichts davon, wenn 85jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der
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