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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert
Autoren: Joern Klare
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ist aber viel unterwegs – ein Vortrag in Asien, ein Symposium in Nordamerika. Doch irgendwann klappt es mit dem gewünschten Termin.
    Ich setze mich aufs Rad und fahre zur Adresse Unter den Linden 50, einem Gebäude des Bundestages in bester Lage. Lange Gänge, Teppichboden, viel Holz und viele rechte Winkel – funktionale Eleganz im Dienste der Demokratie. Ich muß im Büro der Sekretärin warten. Der Chef telefoniert noch. Zum Lesen bekomme ich eine taz und den Stern . Dann darf ich rein.
    Das Büro ist leidlich aufgeräumt. Eine Seite ist komplett verglast, Blick auf viel Fassade und ein bißchen Himmel. An den Wänden bezeugen diverse Urkunden diverse Ehrungen. Dazu noch etwas moderne Kunst und Erinnerungsfotos mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Arnold Schwarzenegger – dem Gouverneur, nicht dem Terminator.
    Auf dem Schreibtisch kein Computer, dafür aber ein Solarradio und ein Aschenbecher. Ein klassisches Modell aus den Siebzigerjahren, dessen Deckel sich auf Knopfdruck öffnet, um Asche oder gleich die ganze Kippe zu verschlingen. Daneben eine Schachtel Dunhill, mit der Scheer immer wieder spielt.
    Er ist 65 Jahre alt, etwa einen Meter siebzig groß und trägt ein Samtsacko über einem blauen Polo-Shirt. Beides eher lässig als chic. Sein Kopf ist kantig, sein Haar grau-schwarz und dicht, seine Haut leicht gebräunt und von den vielen Aufgaben und dem Alter gezeichnet. Er wirkt müde. Ich stelle mich vor, erkläre mein Anliegen, daß ich mit ihm über mein Thema reden will: »Was ist ein Mensch wert?« Er nickt, wirkt ein wenig ungeduldig und redet erst mal über sein Thema. Ich brauche einen Moment, bis ich merke, daß es um das Kyoto-Protokoll geht.
    –   Man muss sich das Wort »Emissonsrecht« mal auf der Zunge zergehen lassen.
    Scheer tut es.
    –   Es widerspricht allen zivilisatorischen Moralvorstellungen. Es legitimiert Menschenrechtsverletzungen, in der Hoffnung, sie zu reduzieren.
    Dann hält er einen kleinen Vortrag über das Protokoll, das1997 auf einer Konferenz der Vereinten Nationen im japanischen Kyoto beschlossen wurde. Darin wurden völkerrechtlich verbindliche Zielwerte zur Reduktion der Treibhausgase in den Industrieländern festgelegt. Das hat mit meiner Frage nichts zu tun, denke ich. Scheer denkt anders. Er beklagt den Handel mit Emissionsrechten, der es Unternehmen ermögliche, sich das Recht zu erkaufen, die Luft zu verschmutzen. Das Recht, eine Tonne Kohlendioxid in die Luft zu blasen, wird zu dem Zeitpunkt unseres Gesprächs an der Leipziger Strombörse mit etwa 14 Euro gehandelt. »Das Allgemeingut Luft wird als Ware monetarisiert.« Scheer nennt das eine »amoralische Absurdität«, um die finanziellen Interessen der Energieanbieter zu schützen. Ich nicke bei der Wirkungspause, die er dann macht, und versuche mein Thema … zu spät. Scheer hat knapp 50 Jahre Erfahrung in der Politik. Da hat man es wohl ganz gut im Griff, wann man selbst reden oder wann man – wenn überhaupt – zuhören will.
    –   Im Grunde kann man das gleichsetzen mit Drogen-, Frauen- und Sklavenhandel.
    Frauen und Sklaven – also: Menschen. Er hat doch nicht vergessen, warum ich hier sitze. Sicherheitshalber nicke ich gleich noch mal.
    –   Die Sklaverei hat vor allem Auswirkungen auf die direkt Betroffenen. Die legitimierte Luftverschmutzung ist aber viel gravierender, weil sie alle trifft.
    Mutiger Vergleich, denke ich, und er wohl auch.
    –   Der Vergleich ist statthaft. Im Grunde könnte man wie das Verbrechen der Umweltverschmutzung auch den Frauen- und Sklavenhandel verrechtlichen. Man müßte dann den Verkauf von Frauen und Sklaven erst einmal legitimieren. Danach bekämpft man das Problem, indem man marktwirtschaftliche, also monetäre Anreize zur Reduzierung dieses Menschenhandels gewährt.
    Noch eine Wirkungspause. Meine Chance zu einem kleinen Einwurf.
    –   Das könnte Proteste geben.
    –   Der Frauenhandel wird transparent erfaßt. Es gibt dann ein Frauenhandelsschutzsekretariat.
    Er hat mich irgendwie überhört. Das mit dem Frauenhandelsschutzsekretariat scheint ihm aber gut zu gefallen. Er grinst.
    –   Man legt fest, daß der Handel bis 2020 um zehn Prozent reduziert wird. Dann gibt es eine Bestandsaufnahme. Alles wird registriert, es gibt eine Börse mit zugelassenen Händlern. Und wer mehr als zehn Prozent abbaut, kann die überschüssigen Rechte verkaufen, was im übrigen dem Staat auch noch Steuereinnahmen bringt.
    Ich probiere es nochmal. Ein wenig
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