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Warte, bis du schlaefst

Warte, bis du schlaefst

Titel: Warte, bis du schlaefst
Autoren: Mary Higgins Clark
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hat sich nie jemand bei uns gemeldet.«
    »In diesem Alter versuchen viele junge Männer, mit Glücksspiel zu Geld zu kommen. Noch mehr experimentieren mit Drogen herum und werden abhängig. Nehmen wir mal an, er hatte Schulden. Wie hätten Ihre Eltern darauf reagiert?«
    Ich merkte, dass ich nur ungern auf diese Frage antwortete. Doch dann sagte ich mir, dass ohne Zweifel solche Fragen schon vor zehn Jahren meinen Eltern gestellt worden waren. Ich überlegte, ob sie wohl ausweichend geantwortet hatten. »Mein Vater wäre wütend darüber gewesen«, gab ich zu. »Für Leute, die ihr Geld verschleudern, hatte er nur Verachtung übrig. Meine Mutter verfügt über ein eigenes Einkommen aus einer Erbschaft. Wäre Mack in Geldnot gewesen, hätte er es von ihr kriegen können, und sie hätte meinem Vater nichts davon erzählt.«
    »Na schön. Ms. MacKenzie, ich werde jetzt vollkommen aufrichtig zu Ihnen sein. Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben, daher können wir auch nicht das Verschwinden Ihres Bruders als Verbrechen behandeln. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Menschen Tag für Tag aus ihrem Leben aussteigen. Sie stehen unter Stress. Sie werden mit ihren Problemen nicht mehr fertig, oder noch schlimmer, sie versuchen gar nicht mehr, damit fertig zu werden. Ihr Bruder ruft regelmäßig an …«

    »Ein Mal im Jahr«, unterbrach ich.
    »Auch das ist regelmäßig. Sie teilen ihm mit, dass Sie ihn aufspüren wollen, und er reagiert sofort darauf. ›Lass mich in Ruhe‹ ist seine Botschaft. Ich weiß, es klingt ein bisschen hart, aber Sie sollten einfach einsehen, dass Mack offenbar dort ist, wo er sein will, und dass die einzige Verbindung, die er mit Ihnen und Ihrer Mutter aufrechterhalten will, dieser Anruf an Muttertag ist. Tun Sie sich allen dreien einen Gefallen: Respektieren Sie seinen Wunsch.«
    Er stand auf. Offensichtlich war das Gespräch beendet. Offensichtlich sollte ich die wertvolle Zeit der Polizei nicht noch länger in Anspruch nehmen. Ich nahm den Zettel wieder an mich, und dabei fiel mir die Botschaft von neuem ins Auge: »ONKEL DEVON, SAG CAROLYN, SIE SOLL NICHT NACH MIR SUCHEN.«
    »Ich danke Ihnen für Ihre … Aufrichtigkeit, Detective Barrott«, sagte ich, im letzten Moment das Wort »Hilfe« unterdrückend. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er mir in irgendeiner Weise weitergeholfen hatte. »Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie nicht weiter belästigen werde.«

5
    Seit zwanzig Jahren schon arbeiteten Gus und Lil Kramer, beide mittlerweile Anfang siebzig, als Hausmeister eines vierstöckigen Wohngebäudes an der West End Avenue, in dem der Besitzer Derek Olsen Wohnungen hatte einrichten lassen, um sie an Studenten zu vermieten. Bei ihrem Einstellungsgespräch hatte ihnen Olsen erklärt: »Wissen Sie, Studenten, egal, ob klug oder dumm, sind grundsätzlich ziemliche Schweinigel. Bei denen türmen sich die Pizzakartons in der Küche bis unter die Decke. In allen Ecken sammeln sich haufenweise leere Bierdosen an. Schmutzige Wäsche und nasse Handtücher werden einfach auf den Boden geworfen und liegen gelassen. Das alles kann uns herzlich egal sein. Sie ziehen sowieso wieder aus, wenn sie ihr Diplom geschafft haben.«
    »Worum es mir geht, ist Folgendes«, hatte er hinzugefügt. »Ich kann die Miete erhöhen, wenn ich das für richtig halte, aber nur, solange die Gemeinschaftsbereiche einwandfrei in Schuss sind. Ich erwarte von Ihnen, dass der Eingangsbereich und die Flure immer so aussehen, als würde das Haus an der Fifth Avenue stehen. Ich möchte, dass Heizung und Klimaanlage immer einwandfrei funktionieren, dass Probleme mit der Installation auf der Stelle behoben werden und der Bürgersteig täglich gefegt wird. Jedes Mal, wenn ein Zimmer frei wird, müssen die Wände neu gestrichen werden. Wenn Interessenten mit ihren Eltern
kommen, möchte ich, dass alles einen guten Eindruck auf sie macht.«
    Zwanzig Jahre lang hatte das Ehepaar Kramer die Anweisungen Olsens gewissenhaft befolgt, und das Gebäude, in dem sie arbeiteten, hatte einen guten Ruf als gehobene Einrichtung für Studenten. Alle Studenten, die hier zeitweilig wohnten, hatten das Glück, Eltern zu haben, bei denen das Geld locker saß. Ein Teil dieser Eltern schloss darüber hinaus mit dem Ehepaar Kramer eine getrennte Vereinbarung ab, der zufolge sie regelmäßig die Zimmer ihrer Sprösslinge putzen sollten.
    Die Kramers hatten sich am Muttertag mit ihrer Tochter Winifred und deren Ehemann
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