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Warte, bis du schlaefst

Warte, bis du schlaefst

Titel: Warte, bis du schlaefst
Autoren: Mary Higgins Clark
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Perry zu einem Brunch in der Tavern on the Green getroffen. Leider hatte fast die gesamte Konversation in einem Monolog Winifreds bestanden, die ihre Eltern davon überzeugen wollte, ihren Job aufzugeben und sich in ihr Landhäuschen in Pennsylvania zurückzuziehen. Es war ein Monolog, den sie schon öfter über sich hatten ergehen lassen müssen und der stets mit dem Refrain endete: »Mom und Dad, ich möchte einfach nicht, dass ihr euer ganzes Leben lang diesen verwöhnten Bengeln hinterherputzt und wischt und staubsaugt.«
    Lil Kramer pflegte schon seit Langem nur noch ausweichend darauf zu antworten: »Vielleicht hast du recht. Ich werde es mir überlegen.«
    Beim Nachtisch, Regenbogen-Sorbet, hatte es jedoch Gus Kramer nicht an Deutlichkeit missen lassen. »Wenn wir so weit sind, dass wir aufhören wollen, werden wir auch aufhören, vorher nicht. Was soll ich denn den ganzen Tag tun? Däumchen drehen?«
    Am späteren Montagabend, als Lil an einem Pullover für das demnächst zu erwartende erste Kind eines der ehemaligen
Studenten strickte, musste sie an Winifreds gut gemeinten, aber unwillkommenen Rat denken. Warum kapiert Winifred nicht, dass ich einfach wahnsinnig gern unter diesen jungen Leuten bin, ärgerte sie sich. Für uns ist es fast so, als ob wir Enkel hätten. Wo wir von ihr ja sowieso keine zu erwarten haben.
    Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Nachdem Gus allmählich ein bisschen schwerhörig wurde, hatte er die Lautstärke erhöht, aber er hatte etwas übertrieben. Mit dem Lärm könnte man Tote auferwecken, dachte Lil, während sie zum Apparat eilte.
    Als sie den Hörer aufnahm, hoffte sie, dass es nicht Winifred war, die noch einmal auf ihre Predigt zurückkommen wollte. Einen Moment später hätte sie etwas darum gegeben, wenn der Anruf von Winifred gekommen wäre.
    »Hallo, Carolyn MacKenzie hier. Spreche ich mit Mrs. Kramer?«
    »Ja.« Lil spürte ihr Herz klopfen.
    »Mein Bruder Mack hat vor zehn Jahren in Ihrem Haus gewohnt, bevor er verschwand.«
    »Ja, das ist richtig.«
    »Mrs. Kramer, Mack hat sich vor Kurzem bei uns gemeldet. Er will uns seinen Aufenthaltsort nicht verraten. Sie können sich sicherlich vorstellen, was das für meine Mutter und mich bedeutet. Nun möchte ich versuchen, ihn zu finden. Wir haben Grund zu der Annahme, dass er sich gar nicht so weit entfernt von uns aufhält. Könnte ich zu Ihnen kommen, um mit Ihnen zu sprechen?«
    Nein, dachte Lil. Nein! Doch sie hörte sich die einzig mögliche Antwort geben: »Aber natürlich können Sie kommen. Ich … wir … haben Mack immer gern gehabt. Wann möchten Sie vorbeischauen?«

    »Morgen früh?«
    Zu früh, dachte Lil. Ich brauche mehr Zeit. »Morgen haben wir sehr viel zu tun.«
    »Dann Mittwochvormittag gegen elf?«
    »Ja, das würde gehen.«
    Gus kam zur Tür herein, als sie auflegte. »Wer war das?«, fragte er.
    »Carolyn MacKenzie. Sie will auf eigene Faust nach ihrem Bruder suchen. Sie kommt am Mittwochvormittag zu uns, um mit uns zu sprechen.«
    Lil beobachtete, wie das breite Gesicht ihres Mannes rot anlief und sich seine Augen hinter den Brillengläsern zu Schlitzen verengten. Mit wenigen Schritten baute er sich mit seinem kurzen, stämmigen Körper vor ihr auf. »Als dich die Polizei damals befragt hat, haben alle gemerkt, dass du nervös geworden bist, Lil. Lass dir diesmal auf keinen Fall etwas anmerken. Hast du mich verstanden? Du wirst dir auf keinen Fall etwas anmerken lassen! «

6
    Detective Roy Barrotts Schicht endete an diesem Montagnachmittag um vier Uhr. Der Arbeitstag war relativ zäh verlaufen, und um drei Uhr stellte er fest, dass es nichts mehr gab, was er noch unbedingt hätte erledigen müssen. Doch eine unbestimmte Unzufriedenheit ließ ihm keine Ruhe. Als würde er mit der Zunge nach einer wunden Stelle in seinem Mund forschen, ging er in Gedanken immer wieder den Tag durch und suchte nach der Quelle für sein Unbehagen.
    Als er sich an das Gespräch mit Carolyn MacKenzie erinnerte, wusste er, dass er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Der Ausdruck von Bestürzung und Unmut auf ihrem Gesicht, als sie ihn verließ, bereitete ihm im Nachhinein ein schlechtes Gewissen. Sie machte sich verzweifelte Sorgen um ihren Bruder und hatte gehofft, dass jener Zettel, der bei der Kollekte gefunden worden war, sie bei ihrer Suche nach ihm einen Schritt weiterbringen könnte. Obwohl sie das nicht ausdrücklich gesagt hatte, schien sie doch deutlich davon überzeugt zu sein, dass er
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