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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
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Maske, er ahnte durch ihr prächtiges Kostüm die Körperformen des Ewigen.
    So versank er auch jetzt in jenes behagliche Herbstfrösteln, das die Phantasie so lebhaft anregt.
    Da war nun die alte Linde, die er vom Schulfenster aus schon seit acht Jahren beobachtet. Er kannte sie, wenn im Hochsommer der Mittagsonnenbrand ihre vergoldeten Zweige ermattet niederzudrücken schien; er hatte mit ihr gelitten, wenn der Herbstwind ihr das Blätterkleid stahl, und sie bewundert, wenn der Winter sie zu einem phantastischen Silberkrystall umzuwandeln suchte. Im Augenblick empfand er das intensive Goldgelb mehrerer Blätter, das sich so prachtvoll abhob vom zarten Blau des Himmels. Wahrlich, sagte er zu sich, die gelbe Farbe darf ich künftig nicht mehr verachten; welch feine Nüancen: braungelb, blaugelb, grüngelb, rotgelb, – herrlich, wie dazu das tiefe Blau des Hintergrunds stimmt.
    Während er diese Betrachtungen anstellte, umtoste ihn das Spiel von einigen hundert Knaben und Jünglingen. Der Schulhof glich, da es geregnet hatte, einem zerstampften Morast. Lautes Lachen, Geschrei ringsum, umeinanderwirbelnde Gesichter, ein buntes Gewoge von Kleidern und Köpfen. Vorm schwarzen Gittertor rollten die blauen Trambahnwagen vorbei. Dort draußen hastete die böse, geldgierige Welt nach Erfolg; hier sollte die noch unverdorbne Jugend mit Idealen genährt werden. Wie wenige aber von diesen Jünglingen, die hier am Busen der Wissenschaften sogen, mochten sich in das schmutzige Weltgetriebe noch ein paar Ideale hinüber retten? Die meisten, dachte er, werden öde Vergnügungsmenschen oder Streber.
    Nun kam Konrad Stern auf ihn zu mit seinem Lieblingsgruß: Gut'n Tag! Diverse Schnäpse!« Das war eine seiner stehenden Redensarten, die er alle Halbjahr wechselte. »Du,« erzählte der kleine, dicke Konrad, der Sohn eines Subalternbeamten, »hör nur, was gestern in der Obersekunda passiert ist. Kommt der Dr. Simmer ins Klassenzimmer, hatte offenbar wieder sein ewiges Nervenkopfweh, . . . nu – kommt also rein und ruft in die lärmende Klass: ›Ich bitt euch, seid doch ein wenig stiller!‹ Dann deutet er auf seinen Kopf und fährt fort: ›Ihr wißt ja, wo mirs fehlt . . .‹ Ist das nicht köstlich!? Diverse Schnäpse!«
    Karl lachte: »Ihr wißt ja, wo mirs fehlt? Nu gut, das wirs endlich wissen; wir werdens nicht vergessen. Es fehlt ihm übrigens noch wo anders,« setzte er boshaft hinzu und deutete aufs Herz: »Hier! – Weißt du, was mir passiert ist?« sagte er dann ernsthaft.
    »Was denn?«
    »Ich hab, ohne es zu wissen, den Dr. Simmer in der ›Litterarischen Wacht‹ angegriffen und – beleidigt.«
    »Was?« schrie Konrad, »wieso?«
    Karl erzählte seinem Intimus die Sache ausführlicher. Konrad fand den Spaß köstlich, rief gleich ein paar Kameraden herbei, erzählte laut den Vorfall und bewirkte dadurch, daß sich die Kunde von dem bevorstehenden Prozeß bald im ganzen Schulhof unter den älteren Schülern verbreitete.
    »Mir ist die Sache nicht so spaßhaft,« sagte Karl mit melancholischem Lächeln, »was fang ich an, wenn mich mein Vater aus der Schul wirft?«
    Der bleiche, dicke Konrad sah seinem Freund begeistert in das jugendliche Professorengesicht und erwiderte mit tragischem Pathos: »Diverse Schnäpse! – wir gründen eine Zeitschrift.«
    »So?« lachte der Sohn des Direktors mit überlegenem Sarkasmus; »und wo das Geld hernehmen?«
    »Dumm, daß das Geld so ne einfältige Rolle in der Welt spielt,« meinte Stern finster.
    »Wir können unmöglich solang warten,« versetzte Karl, »bis der sozialistische Zukunftsstaat das Geld abschafft.«
    »Wer weiß,« fiel ihm Konrad erregt ins Wort, »s kann jeden Augenblick n Krach gebend
    »Ach Unsinn!«
    »Sprich nicht so wegwerfend! Es gährt im Volk! Noch ein paar neue Steuern oder so was dergleichen – und wir haben die Revolution.«
    »Ich seh dich schon mit der roten Mütze und »Diversen Schnäpsen« auf der Barrikade stehen,« spottete Körn. »Nein! so schnell geht das nicht und mit Gewalt erreicht man dauernde Erfolge im Staatsleben auch nicht. So was kommt langsam; auf geistigem Gebiet.«
    »Ich bin für Blut und Feuer!« schrie der Dicke. Karl schmunzelte, als Konrad fortfuhr seine bluttriefende zukünftige Heldenschaft auszumalen. »Diesem Philisterpack kann man nur durch Mord und Brand imponieren! Diverse Schnäpse! Sollst sehen, wie sich da unsre Schultyrannen verkriechen. Wir sollten schon im Kleinen anfangen –: einfach n paar
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